Mehrdeutigkeit / Ambiguität (ambiguity, lat. ambiguus = doppeldeutig, unklar)
Definition
Mehrdeutigkeit bezeichnet im NLP eine Sprachstruktur, bei der ein Wort, Satz oder Satzteil mehrere Bedeutungen zulässt. Diese Doppeldeutigkeit ermöglicht es, dass verschiedene Hörer unterschiedliche innere Repräsentationen erzeugen, was im NLP gezielt genutzt wird – vor allem zur Tranceinduktion und zur Öffnung des Bewusstseins für Suggestionen.
Im NLP wird zwischen verschiedenen Formen von Ambiguität unterschieden, insbesondere im Milton-Modell, das hypnotische Sprachmuster beschreibt. Mehrdeutigkeit steht dort im Gegensatz zur Spezifizierung im Meta-Modell, das Klarheit und Präzision erzeugen soll.
Ursprung und Theoretischer Hintergrund
Mehrdeutigkeit ist ein grundlegendes Phänomen menschlicher Sprache, das in der Linguistik und Semantik seit jeher untersucht wird. Im NLP wurde sie durch Richard Bandler und John Grinder formalisiert – insbesondere im Rahmen des Milton-Modells der Hypnose-Sprache, das auf den Sprachmustern des Hypnotherapeuten Milton H. Erickson basiert.
Sie erkannten, dass der gezielte Einsatz mehrdeutiger Formulierungen das kritische Bewusstsein umgeht und dem Unbewussten erlaubt, eigene Bedeutungen zu konstruieren – ein zentrales Prinzip hypnotischer Kommunikation.
Anwendungsbeispiele
- Hypnotherapie: „Und während du die Bedeutung dieses Satzes erfährst … auf deine ganz eigene Weise …“ – Der Klient wird eingeladen, selbst zu interpretieren.
- Coaching: „Manche Menschen bemerken, wie sich Veränderungen einfach ereignen … während sie zuhören.“
- Verkauf & Verhandlung: Mehrdeutige Aussagen erlauben, dass sich der Kunde unbewusst mit der Aussage identifiziert, ohne Widerstand zu erzeugen.
- Tranceinduktion: Sprachliche Ambiguität verwirrt kurzfristig das bewusste Denken, wodurch der Zugang zum Unbewussten erleichtert wird.
Einsatzbereiche
- Therapie: Hypnotische Sprachführung, Regression, Arbeit mit dem Unbewussten
- Coaching: Ressourcenaktivierung, Zielfindung, non-direktive Intervention
- Führungskräftetraining: Suggestive Kommunikation, Führung durch Sprache
- Verkauf und Marketing: Einflussnahme durch sprachliche Offenheit
- Pädagogik und Training: Förderung kreativen Denkens durch nicht-lineare Sprache
Typische NLP-Techniken mit Ambiguität:
- Milton-Modell
- Hypnotische Sprachmuster
- Nested Loops (verschachtelte Geschichten)
- Utilisation (Nutzung von momentanen Reaktionen)
Methoden und Übungen
Typische Formen der Mehrdeutigkeit im NLP (nach Bandler & Grinder):
- Phonologische Mehrdeutigkeit: gleich klingende Wörter mit unterschiedlicher Bedeutung – „Ohne das Phänomen der Armlevitation kann man arm dran sein.“
- Syntaktische Mehrdeutigkeit: unklar, wer was tut – „Patienten, die Therapeuten hypnotisieren, gibt es öfter als Therapeuten, die Patienten heilen.“
- Referenzmehrdeutigkeit: Bezugsunsicherheit – „Ich sehe, dass Du bequem sitzt … und das Verstehen … kann eine tiefe Erfahrung sein.“
- Interpunktionsmehrdeutigkeit: „Und Du liest immer genauer, verstehst es.“
Übung: Nimm eine einfache Aussage wie „Du fühlst dich ruhig und entspannt“ und gestalte daraus eine syntaktisch mehrdeutige Version:
„Wenn Menschen sich ruhig und entspannt fühlen – wie Du vielleicht auch – dann geschehen oft interessante Dinge …“
Synonyme oder verwandte Begriffe
- Ambiguität
- Doppeldeutigkeit
- Trance-Sprache
- Hypnotische Sprache
- Vagheit (im Milton-Modell verwandter Begriff)
- Utilisation
Abgrenzung:
- Mehrdeutigkeit erlaubt mehrere mögliche Bedeutungen.
- Vagheit hingegen vermeidet Spezifizierung (z.B. durch unbestimmte Referenzen wie „es“ oder „etwas“).
Wissenschaftlicher oder praktischer Nutzen
- Erleichtert Trancezustände: Durch semantische Offenheit wird das kritische Bewusstsein umgangen.
- Fördert kreative Interpretation: Der Zuhörer „füllt“ die Bedeutung selbst.
- Erlaubt non-direktive Kommunikation: Besonders wirksam in Therapie und Coaching.
- Steigert Rapport und Vertrauen: Der Empfänger kann sich wiederfinden, ohne sich gedrängt zu fühlen.
- Schafft emotionale Resonanz: Die Unklarheit führt zu innerer Bewegung – das Unbewusste reagiert.
Kritik oder Einschränkungen
- Missverständnisse möglich: Bei zu viel Ambiguität kann der Empfänger den Faden verlieren.
- Manipulationsgefahr: Mehrdeutige Aussagen können absichtlich eingesetzt werden, um klare Kommunikation zu umgehen.
- Unwirksam bei kognitiver Klärung: Bei rationaler Analyse oder im Coaching mit konkreten Zielen kann Mehrdeutigkeit kontraproduktiv sein.
- Nicht für jede Zielgruppe geeignet: Besonders analytische Personen empfinden zu viel Ambiguität als irritierend.
Literatur- und Quellenhinweise
- Bandler, R., & Grinder, J. (1975). The Structure of Magic I. Science and Behavior Books, Palo Alto.
- Bandler, R., & Grinder, J. (1996). Patterns of the hypnotic techniques of Milton H. Erickson, M.D. (Vol. 1). Meta Publications.
- Grinder, J., & Bandler, R. (1981). Trance-formations: Neuro-Linguistic Programming and the Structure of Hypnosis. Real People Press.
- O’Hanlon, B. (1995). Der tanzende Hypnotiseur: Hypnotherapie nach Milton H. Erickson. Junfermann.
- Dilts, R. (1990). Changing Belief Systems with NLP. Meta Publications, Capitola.
Metapher
Sprache ist wie ein Nebel – sie zeigt Formen, lässt aber offen, was genau darin steckt.
Mehrdeutigkeit ist wie ein Spiegelkabinett: Man sieht etwas – aber was genau es ist, bestimmt der Beobachter selbst.