Konversations-Postulat / konversationelles Postulat (conversational postulate)
Definition
Ein Konversations-Postulat ist eine sprachliche Form, die formal wie eine Frage aufgebaut ist, jedoch nicht auf eine Antwort, sondern auf eine Handlung abzielt. Es handelt sich um indirekte Aufforderungen oder Suggestionen, die im Gespräch als Fragen erscheinen, aber beim Gegenüber häufig zu einem bestimmten Verhalten führen – ohne offenen Widerstand hervorzurufen.
Beispiel: „Können Sie mir bitte die Tür öffnen?“ – Die Frage wird selten mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet, sondern meist mit der Handlung: die Tür wird geöffnet.
Im NLP gelten Konversations-Postulate als verdeckte Befehle (embedded commands), die durch ihre indirekte Form direkte Suggestionen am kritischen Bewusstsein vorbeischleusen können. Sie sind ein zentrales Element im Milton-Modell, das hypnotische Sprachmuster beschreibt.
Ursprung und Theoretischer Hintergrund
Das Konzept stammt ursprünglich aus der pragmatischen Linguistik und Kommunikationspsychologie, insbesondere aus den Werken von Paul Grice (Maximen der Konversation).
In das NLP eingeführt wurden Konversations-Postulate durch Richard Bandler und John Grinder, die sich auf die Sprachmuster von Milton H. Erickson, einem Pionier der modernen Hypnotherapie, stützten.
Grundannahmen im NLP:
- Kommunikation wirkt über Sprache, auch dann, wenn die Botschaft nicht direkt ausgesprochen wird.
- Das Unbewusste reagiert besonders auf indirekte, nicht bedrohliche Sprache.
- Menschen verhalten sich oft gemäß unausgesprochenen sozialen Erwartungen, z.B. einer impliziten Aufforderung in Form einer höflichen Frage.
Anwendungsbeispiele
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Therapeut: „Können Sie sich vorstellen, dass sich das verändern lässt?“
→ Der Klient beginnt innerlich mit dem Erforschen von Möglichkeiten – eine indirekte Suggestion.
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Coach: „Würdest Du es Dir erlauben, heute einmal nur Dich selbst wichtig zu nehmen?“
→ Die Struktur regt das Unbewusste zur Arbeit an, ohne Widerstand auszulösen.
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Verkauf: „Könnten Sie sich vorstellen, wie es wäre, mit diesem Produkt Ihren Alltag zu erleichtern?“
→ Suggestive Einladung zur Identifikation mit der Kaufvision.
Einsatzbereiche
- Hypnotherapie (insbesondere nach Milton Erickson)
- Coaching (zur indirekten Zielaktivierung)
- Verkauf und Marketing (Einwandvorbeugung durch indirekte Suggestion)
- Verhandlungsführung (implizite Steuerung des Gesprächs)
- Pädagogik/Training (sanfte Anleitung zu gewünschtem Verhalten)
- Konfliktlösung (um Konfrontation zu vermeiden)
Methoden und Übungen
1. Typische Anwendung im NLP:
Fragen, die formal mit Ja/Nein beantwortbar wären, erzeugen im Gegenüber jedoch oft automatisch eine Handlung.
Beispielhafte Satzmuster:
- „Könnten Sie …?“
- „Haben Sie jemals bemerkt …?“
- „Wären Sie bereit, ...?“
- „Wissen Sie eigentlich, dass …?“
2. Übung:
- Erstelle eine Liste alltäglicher Befehle (z.B. „Mach das Fenster auf!“).
- Verwandle sie in Konversations-Postulate: „Könnten Sie bitte das Fenster öffnen?“
- Achte bei Gesprächen im Alltag auf die Wirkung solcher Fragen.
Synonyme und Verwandte Begriffe
Synonyme:
- Indirekte Suggestion
- Hypnotisches Sprachmuster
- Indirekter Befehl
Verwandte Begriffe:
- Embedded Commands (eingebettete Befehle)
- Milton-Modell
- Indirekte Sprachmuster
- Sprachliche Weichmacher (Softener)
Abgrenzung:
Im Unterschied zu direkten Befehlen erzeugen Konversations-Postulate weniger Widerstand, da sie die Entscheidung dem Gegenüber scheinbar überlassen. Sie unterscheiden sich auch von normalen Fragen, da nicht nach Information, sondern nach Verhalten gefragt wird.
Wissenschaftlicher oder praktischer Nutzen
Praktischer Nutzen:
- Reduziert Widerstand durch indirekte Kommunikation
- Ermöglicht Rapport-Erhalt in sensiblen Gesprächen
- Aktiviert das Unbewusste zur Mitarbeit (z.B. in Tranceinduktion)
- Hilfreich in Führung, Therapie, Coaching, Pädagogik
Wissenschaftlicher Kontext:
Zwar wurden Konversations-Postulate im NLP nicht empirisch isoliert untersucht, jedoch existieren Studien zur Wirksamkeit indirekter Suggestionen und zu Erickson’scher Hypnose, z.B. in der Schmerztherapie, Angstbewältigung oder Persönlichkeitsentwicklung.
Kritik oder Einschränkungen
- Manipulationsverdacht: Bei unsachgemäßem Einsatz können Konversations-Postulate als manipulierend wahrgenommen werden.
- Missbrauchspotenzial: In Werbung oder Verkauf können sie ethisch fragwürdig eingesetzt werden.
- Nicht immer effektiv: Nicht jeder Mensch reagiert gleich stark auf indirekte Sprachmuster – Kontext und Rapport sind entscheidend.
- Sprachbarrieren: In anderen Sprachen oder Kulturen kann das Prinzip unterschiedlich funktionieren.
Literatur- und Quellenhinweise
- Bandler, R., & Grinder, J. (1975). The Structure of Magic I. Science and Behavior Books, Palo Alto.
- Bandler, R., & Grinder, J. (1996). Patterns of the hypnotic techniques of Milton H. Erickson, M.D. (Vol. 1). Meta Publications.
- Erickson, M. H. (Ed.). (1980). The Collected Papers of Milton H. Erickson on Hypnosis (4 Bände). Irvington Publishers, New York.
- Hall, L. M. (2000). Hypnotic language: Its structure and use. Neuro-Semantic Publications.
- Watzlawick, P., Beavin, J. H., & Jackson, D. D. (1974). Menschliche Kommunikation: Formen, Störungen, Paradoxien (7. Aufl.). Huber.
- Grinder, J., & Bostic St. Clair, C. (2001). Whispering in the wind. John Grinder & Carmen Bostic.