Mechanistisches Weltbild / Maschinenmetapher / Welt als Maschine / reduktionistische Weltsicht (mechanistic worldview)
Definition
Das mechanistische Weltbild beschreibt eine Weltsicht, in der die Realität als eine Maschine betrachtet wird: bestehend aus Einzelteilen, die nach festen, logisch nachvollziehbaren Regeln interagieren. Es basiert auf den Prinzipien der Kausalität, Trennbarkeit, Objektivität und Messbarkeit.
Im Kontext des NLP dient dieses Weltbild teils als implizite Metapher – insbesondere in der Annahme, dass innere Prozesse wie "programmierbar" oder systematisch veränderbar sind. Gleichzeitig wird es im NLP auch kritisch hinterfragt und überschritten.
Abgrenzung: Im Gegensatz zu ganzheitlichen, systemischen oder konstruktivistischen Weltbildern ignoriert das mechanistische Modell subjektive Erfahrung, emergente Prozesse und die Rolle des Bewusstseins. NLP bewegt sich daher in einem Spannungsfeld: Es nutzt teils mechanistische Modelle, um Veränderung zu gestalten, erkennt aber auch die Grenzen dieses Denkmodells an.
Ursprung und Theoretischer Hintergrund
Das mechanistische Weltbild entstand im Zuge der Naturwissenschaften des 17. Jahrhunderts, vor allem durch die Arbeiten von René Descartes, Isaac Newton und Francis Bacon. Es wurde im 18. und 19. Jahrhundert zur dominanten Denkweise in Wissenschaft, Technik und Philosophie.
Die Grundannahme: Die Welt ist ein deterministisches System – jedes Phänomen hat eine messbare Ursache und Wirkung, die durch objektive Gesetze beschreibbar ist.
Wichtige Prämissen:
- Reduktionismus: Das Ganze ist die Summe seiner Teile.
- Trennung von Subjekt und Objekt: Der Beobachter beeinflusst nicht das Beobachtete.
- Mathematisierung der Welt: Alles ist quantifizierbar.
- Objektivität als Ideal: Wahrheit ist unabhängig vom Bewusstsein.
Anwendungsbeispiele im NLP
- Die NLP-eigene Metapher vom Gehirn als Computer ist tief vom mechanistischen Denken beeinflusst: Input → Verarbeitung → Output.
- Begriffe wie Reprogrammierung, Strategie, System, Anker, Trigger, Schaltkreis etc. deuten auf maschinenartige Modelle hin.
- NLP-Techniken wie Swish, Submodalitätenarbeit oder Anker-Löschen basieren auf der Vorstellung, dass innere Prozesse logisch verändert werden können.
- In der Arbeit mit inneren Anteilen („Teilearbeit“) wird oft eine funktionale Kausalstruktur unterstellt.
Einsatzbereiche
- Coaching – Modelle für Zielarbeit, Handlungsketten, Motivationsstrategien
- Therapie – Veränderung dysfunktionaler Muster durch „Neuprogrammierung“
- Unternehmensberatung – Veränderung als „Reparatur“ von Systemelementen
- Lernprozesse – Nutzung von Wiederholung und Verstärkung nach behavioristischem Vorbild
- Verkaufstraining – NLP als „Werkzeugkasten“ mit kalkulierbarer Wirkung
Methoden und Übungen
Zwar gibt es keine eigene Methode mit dem Namen mechanistisches Weltbild, doch spiegeln viele NLP-Techniken implizit mechanistische Annahmen wider. Beispiele:
- Zielarbeit nach SMART-Kriterien: Ziele als planbare Zustände
- Swish-Technik: Veränderung durch gezielte Re-Konditionierung
- Strategien erkennen und verändern: mentale Programme analysieren und umstellen
- Submodalitäten verändern: visuelle oder auditive „Schalter“ umlegen
Übung zur Reflexion:
- Welche NLP-Techniken nutze ich in einem „mechanistischen“ Sinne?
- Welche davon brauchen ein systemisches oder konstruktivistisches Reframing, um ganzheitlicher zu wirken?
Synonyme oder verwandte Begriffe
- Maschinenmetapher
- Rationalistisches Weltbild
- Reduktionismus
- Lineares Denken
- Objektivismus
- Cartesianismus
Abgrenzung zu verwandten Konzepten:
- Systemisches Denken: berücksichtigt Rückkopplungen, Kontexte und emergente Eigenschaften.
- Konstruktivismus: geht davon aus, dass Wirklichkeit subjektiv konstruiert ist.
- Holismus: betont Ganzheiten statt Teile.
Wissenschaftlicher oder praktischer Nutzen
- Nutzen:
- Hohe Erklärungskraft für viele technische, medizinische und psychologische Phänomene.
- In NLP erlaubt es strukturierte, zielorientierte Interventionen.
- Menschen mit linear-analytischem Denkstil finden im NLP oft schnelle Veränderungswerkzeuge.
- Grenzen:
- Ignoriert oft emotionale, kulturelle, soziale oder spirituelle Aspekte.
- Nicht geeignet zur Beschreibung komplexer, dynamischer Systeme wie Bewusstsein, Beziehung, Identität.
Kritik oder Einschränkungen
- Kritik am mechanistischen Weltbild:
- Philosophie: Kant, Husserl, Heidegger, postmoderne Denker (Foucault, Derrida)
- Physik: Quantenmechanik (Unschärferelation, Beobachtereffekte)
- Mathematik: Gödel’s Unvollständigkeitssatz
- Psychologie: Humanistische und systemische Ansätze
- Im NLP selbst: NLP bewegt sich zwischen funktionalem Nutzen und erkenntnistheoretischer Reduktion. Viele moderne NLP-Ansätze versuchen das mechanistische Weltbild zu transzendieren (z. B. durch Spiritualität, Wertearbeit, Soziales Panorama).
Literatur- und Quellenhinweise
- Merchant, C. (1980). The death of nature: Women, ecology, and the scientific revolution. Harper & Row.
- Ötsch, W. (1996). Vom Denken der Natur zur Natur des Denkens. In B. Priddat & G. Wegner (Hrsg.), Zwischen Evolution und Institution (S. 35–55). Metropolis Verlag.
- Bohm, D. (1987). Wholeness and the implicate order. Routledge.
- Zukav, G. (1979). The dancing Wu Li masters: An overview of the new physics. William Morrow.
- Dilts, R. (1990). Changing Belief Systems with NLP. Meta Publications, Capitola.
- Ardui, J., & Wrycza, P. (1994). Die NLP-Welt: Eine Einführung in das Neurolinguistische Programmieren. Junfermann.
- Varela, F. J., Thompson, E., & Rosch, E. (1992). Der mittlere Weg der Erkenntnis. Scherz Verlag.
Metapher
Das mechanistische Weltbild ist wie eine Uhr: präzise, vorhersagbar, logisch – aber es kennt keine Liebe, keine Intuition, keine Verbundenheit. NLP ist wie ein Werkzeugkoffer, der aus dieser Uhr eine Geige machen kann: mit Struktur, aber auch mit Klang, Gefühl und Beziehung.