Utilisation / Nutzbarmachen / konstruktive Nutzung (to utilize)
Definition
Im NLP bezeichnet Utilisation den Ansatz, alles, was ein Klient in eine Sitzung einbringt – seien es Gedanken, Gefühle, Verhaltensweisen oder scheinbare Störungen – konstruktiv zu nutzen. Nichts wird als „fehl am Platz“ oder „widerständig“ betrachtet; stattdessen wird jedes Verhalten als potenzielle Ressource verstanden, die den Veränderungs- oder Erkenntnisprozess unterstützen kann. Der Fokus liegt auf dem Prinzip: „Nutze, was da ist.“
Beispiel
- Ein Klient schweift während eines Coachings immer wieder ab. Statt ihn zu unterbrechen, greift der Coach seine Gedanken auf und verknüpft sie mit dem eigentlichen Thema – oft ergeben sich daraus kreative neue Perspektiven.
- Ein Therapeut bemerkt, dass ein Klient nervös mit dem Fuß wippt. Er integriert diese Bewegung in eine Atemübung und nutzt sie, um Spannung abzubauen und Körperbewusstsein zu fördern.
Ursprünge und theoretischer Hintergrund
Das Konzept der Utilisation wurde von Milton H. Erickson entwickelt, dem Begründer der modernen Hypnotherapie. Erickson nutzte alles, was im therapeutischen Raum geschah – Widerstände, Symptome, Ablenkungen oder unvorhergesehene Ereignisse – als Teil des Heilungsprozesses. „Kämpfe nie gegen die Energie des Klienten an, sondern nutze sie.“ Diesen Grundsatz übernahmen Richard Bandler und John Grinder in das NLP. Sie erkannten, dass jedes Verhalten Bedeutung und Nutzen haben kann, wenn es im passenden Kontext integriert wird. So wurde Utilisation zu einem Kernprinzip im NLP, das Achtsamkeit, Flexibilität und Wertschätzung gegenüber dem gesamten Erleben des Klienten betont.
Anwendungsbeispiele
- Therapie: Eine Therapeutin bemerkt, dass ein Klient unruhig auf dem Stuhl hin- und herrutscht. Sie interpretiert die Bewegung nicht als Störung, sondern integriert sie in eine Körperübung, um die Energie in den Prozess einzubinden.
- Coaching: Ein Coach nimmt wiederkehrende Witze des Klienten als Hinweis auf ein wichtiges Thema und nutzt Humor als Zugang zu verborgenen Emotionen.
- Hypnose: Ein hypnotischer Prozess greift äußere Reize wie Atem, Lidschlag oder Geräusche auf und verwebt sie in die Suggestion („Während du das Geräusch im Hintergrund hörst, kannst du dich noch tiefer entspannen …“).
- Teamentwicklung: Konflikte oder Kritik werden nicht abgewehrt, sondern als Rückmeldungen und Lernchancen genutzt, um Prozesse zu verbessern.
Einsatzbereiche
- Therapie: Umdeutung von Symptomen oder Widerständen in Ressourcen.
- Coaching: Integration spontaner Einfälle, Emotionen und Metaphern des Klienten.
- Hypnose: Nutzung körperlicher Reaktionen und situativer Reize zur Vertiefung des Trancezustands.
- Teamentwicklung: Transformation von Kritik oder Konflikten in konstruktive Lernimpulse.
Methoden und Übungen
- Spiegeln und Aufgreifen: Der Coach/Therapeut beobachtet Gesten, Sprache oder Stimmung des Klienten und greift sie wertschätzend auf („Mir fällt auf, dass Sie beim Sprechen die Schultern anspannen – was könnte das bedeuten?“).
- Fokusverschiebung: Statt gegen „Abschweifen“ oder „Ablenkung“ vorzugehen, wird der Energiefluss aufgegriffen und durch gezielte Fragen in eine produktive Richtung gelenkt.
- Trance-Utilisation: In hypnotischen Prozessen wird jede Reaktion (z. B. Seufzen, Lächeln, Bewegung) als Bestätigung oder Verstärkung genutzt, um den Trancezustand zu vertiefen.
Synonyme oder verwandte Begriffe
- Nutzbarmachen
- Transformative Nutzung
- Energieaufgreifen
- Konstruktives Einbeziehen
Abgrenzung
Utilisation bedeutet mehr als bloßes Akzeptieren – sie erfordert aktives und zielgerichtetes Einbeziehen des vorhandenen Materials. Im Gegensatz zu einer passiven Toleranz nutzt der Therapeut oder Coach bewusst jede Äußerung oder Reaktion als Teil des Veränderungsprozesses.
Wissenschaftlicher oder praktischer Nutzen
- Individuell: Der Klient erlebt Akzeptanz und Selbstwirksamkeit, da auch vermeintlich störende Verhaltensweisen als wertvoll anerkannt werden.
- Praktisch: Führt zu einem flüssigen, kreativen Sitzungsverlauf, da kein Widerstand entsteht, sondern alles integriert wird.
- Wissenschaftlich: Anknüpfung an systemische Denkweisen, die davon ausgehen, dass jedes Element eines Systems Teil seiner Dynamik und potenziell nutzbar ist.
Kritik oder Einschränkungen
- Erfahrungsabhängigkeit: Effektive Utilisation erfordert hohe Wahrnehmungsschärfe und Flexibilität; unerfahrene Coaches können sich in Details verlieren.
- Grenzen der Ethik: Wird Utilisation manipulativ oder ohne Rücksicht auf die Grenzen des Klienten eingesetzt, kann dies Vertrauen zerstören.
Literatur- und Quellenhinweise
- Bandler, R., & Grinder, J. (1979). Frogs into Princes: Neuro Linguistic Programming. Real People Press.
- Gilligan, S. (1987). Therapeutic Trances: The Cooperation Principle in Ericksonian Hypnotherapy. Brunner/Mazel, New York.
- O’Hanlon, B. (1995). Taproots: Underlying Principles of Milton Erickson’s Therapy and Hypnosis. Brunner/Mazel, New York.
Metapher oder Analogie
Utilisation ist wie Segeln im Wind:
Statt gegen den Wind zu kämpfen, nutzt man seine Kraft, um voranzukommen. Jede Böe, jede Richtungsänderung wird Teil der Bewegung – ebenso kann im Coaching oder in der Therapie jede Äußerung des Klienten zum Antrieb für Entwicklung werden.