Zweite Position

Definition

Die zweite Position im Neuro-Linguistischen Programmieren (NLP) bezeichnet das Erleben einer Situation aus der Perspektive einer anderen Person. Der Klient nimmt dabei die Sichtweise, Gedanken und Gefühle des Gegenübers ein, um dessen Erfahrungen, Motive und Bedürfnisse besser zu verstehen. Diese Wahrnehmungsposition fördert Empathie, Perspektivwechsel und Kommunikationsfähigkeit und wird häufig in Coaching, Therapie und Konfliktarbeit eingesetzt. Durch das Einnehmen der zweiten Position erweitert sich das Verständnis für zwischenmenschliche Dynamiken und es entsteht ein tiefes Einfühlen in die Welt des anderen.

Ursprung und theoretischer Hintergrund

Die Idee der Wahrnehmungspositionen stammt von Richard Bandler und John Grinder, den Begründern des NLP. Sie entwickelten ein Modell mit drei zentralen Positionen, die es ermöglichen, Erfahrungen aus verschiedenen Perspektiven wahrzunehmen:

  • Erste Position: Wahrnehmung aus der eigenen Sicht („Ich-Perspektive“).
  • Zweite Position: Wahrnehmung aus der Sicht einer anderen Person („Du-Perspektive“).
  • Dritte Position: Beobachtung aus einer distanzierten, neutralen Perspektive („Metaposition“).

Die zweite Position dient insbesondere dazu, die Flexibilität der Wahrnehmung zu erhöhen, Empathie zu entwickeln und zwischenmenschliche Beziehungen bewusster zu gestalten. Sie ist ein zentraler Bestandteil vieler NLP-Techniken, die auf Kommunikation, Konfliktlösung und emotionale Intelligenz abzielen.

Anwendungsbeispiele

  • Coaching: Ein Klient, der Konflikte mit einem Kollegen hat, wird angeleitet, in die zweite Position zu wechseln. Er versetzt sich in dessen Rolle, um zu verstehen, welche Gedanken, Gefühle oder Bedürfnisse hinter dessen Verhalten stehen.
  • Therapie: In der Paar- oder Familientherapie hilft die zweite Position, den emotionalen Hintergrund des Gegenübers nachzuvollziehen und Mitgefühl zu entwickeln.
  • Kommunikationstraining: Teilnehmer üben, sich während eines Gesprächs innerlich in den Gesprächspartner hineinzuversetzen. Dadurch verbessern sie ihre Fähigkeit zum aktiven Zuhören, zur Deeskalation und zum respektvollen Dialog.
  • Führungskräfteentwicklung: Führungskräfte lernen, die Perspektive ihrer Mitarbeiter einzunehmen, um deren Motivation, Sorgen und Bedürfnisse besser zu verstehen.

Einsatzbereiche

  • Therapie: Förderung von Empathie und Verständnis in Beziehungen.
  • Coaching: Entwicklung von Wahrnehmungsflexibilität und emotionaler Intelligenz.
  • Führung & Kommunikation: Verbesserung von Konfliktmanagement und Teamführung.
  • Konfliktlösung: Verständnis der anderen Partei als Grundlage für kooperative Lösungen.

Methoden und Übungen

  1. Rollenspiele: Der Klient wird eingeladen, die Rolle der anderen Person zu übernehmen – sich hinzusetzen oder zu stehen, wie diese Person es tun würde – und die Situation aus deren Perspektive zu beschreiben.
  2. Ersatzperspektive: Der Klient stellt sich vor, er sei die andere Person. Er beschreibt, was diese sieht, hört und fühlt, und erlebt deren Gedanken und Emotionen so authentisch wie möglich.
  3. Gesprächsführung aus der zweiten Position: Während eines Gesprächs wird der Klient ermutigt, bewusst Fragen zu stellen, die zeigen, dass er die Perspektive des Gegenübers nachvollzieht („Wie fühlt sich das für Sie an?“).
  4. Positionswechsel im Raum: Eine NLP-Standardtechnik, bei der verschiedene Positionen physisch im Raum eingenommen werden (z. B. Stuhl A = eigene Position, Stuhl B = zweite Position). Das erleichtert den Perspektivwechsel und fördert emotionale Distanz oder Nähe.

Synonyme oder verwandte Begriffe

  • Empathie: Einfühlungsvermögen in Gedanken und Gefühle einer anderen Person.
  • Perspektivwechsel: Allgemeiner Begriff für den bewussten Wechsel der Sichtweise.
  • Wahrnehmungsposition: Oberbegriff, der erste, zweite und dritte Position umfasst.

Verwandte NLP-Konzepte

  • Erste Position: Eigene Wahrnehmung und Selbstreflexion.
  • Dritte Position: Beobachterperspektive zur objektiven Betrachtung einer Situation.
  • Rapport: Aufbau von Vertrauen und Verbindung durch empathische Kommunikation.

Wissenschaftlicher oder praktischer Nutzen

  • Praktischer Nutzen: Die zweite Position fördert Empathie, Konfliktfähigkeit und Beziehungsintelligenz. Sie ermöglicht es, Reaktionen und Emotionen anderer besser zu verstehen und dadurch konstruktiver zu kommunizieren.
  • Wissenschaftlicher Bezug: Psychologische Forschung zu Perspektivenübernahme und Empathie bestätigt, dass das bewusste Einnehmen der Sichtweise anderer die soziale Kompetenz und das emotionale Verständnis stärkt.

Kritik oder Einschränkungen

  • Kritik: Bei unsachgemäßer Anwendung kann der Klient Gefahr laufen, sich zu stark mit der anderen Person zu identifizieren und die eigene Perspektive zu verlieren.
  • Einschränkungen: Das bewusste Einnehmen der zweiten Position erfordert Übung und emotionale Stabilität, um zwischen Einfühlung und Selbstabgrenzung zu balancieren.

Literatur- und Quellenhinweise

  • Bandler, R., & Grinder, J. (1975). The Structure of Magic I. Science and Behavior Books, Palo Alto.
  • O'Connor, J., & Seymour, J. (2002). Introducing Neuro-Linguistic Programming: Psychological Skills for Understanding and Influencing People. Red Wheel / Wiser, Newburyport.

Metapher oder Analogie

Die zweite Position ist wie das Anziehen der Schuhe eines anderen Menschen. Man geht denselben Weg, aber spürt, wo es drückt, wo der Boden weich ist und wo er wackelt. Erst wenn man selbst durch die Schritte des anderen gegangen ist, versteht man, warum er so geht, wie er geht. Diese Metapher zeigt: In der zweiten Position schlüpft man sinnbildlich in die Erfahrungswelt eines anderen. Man denkt, fühlt und reagiert für einen Moment wie diese Person – und schafft dadurch ein tieferes Verständnis, das Verbindung und Mitgefühl ermöglicht.