Big Five

Big Five


Was sind die Big Five?

Die Big Five ist ein Modell in der Psychologie, welches die Persönlichkeit einer Person anhand von fünf grundlegenden Faktoren erfasst:

  1. Extraversion
    Tendenz, sozialen Kontakt und stimulierende Umgebungen aufzusuchen
  2. Offenheit für Erfahrungen
    Offenheit für Neues und Beschäftigung mit intellektuellen Themen
  3. Verträglichkeit
    Anpassung und Rücksicht auf andere
  4. Gewissenhaftigkeit
    Selbstkontrolle und Disziplin
  5. Neurotizismus
    Empfindlichkeit gegenüber negativen Emotionen, Gedanken und Einflüssen

Einführung in die Big Five

Bis dato sind die Big Five das verbreitetste wissenschaftlich fundierte Modell der Persönlichkeit. Es kann dazu genutzt werden, die grundsätzlichen Wesenszüge einer Person mit denen von anderen vergleichbar zu machen. Die Persönlichkeit bezeichnet in diesem Modell die Summe der stabilen Eigenschaften einer Person, welche in unterschiedlichen Situationen beobachtbar sind. Die Persönlichkeit führt also dazu, dass eine Person unterschiedliche Situationen immer wieder ähnlich wahrnimmt, erlebt, und bewertet, was wiederum zu konstanten Verhaltensweisen führt. Wenn eine Person beispielsweise generell den sozialen Kontakt zu fremden Menschen als unangenehm und stressig empfindet, wird diese Person solche Situationen meistens vermeiden.

Eine wichtige Basis des Big Five Modells ist die Tatsache, dass Menschen sich in ihren Verhaltens- und Erlebensweisen unterscheiden. Solche Persönlichkeitsunterschiede beruhen laut des Big Five-Ansatzes primär auf abweichenden Ausprägungen in fünf verschiedenen und relativ unabhängigen Persönlichkeitsdimensionen. Diese fünf grundlegenden Dimensionen des Big Five Modells nennt man Faktoren. Zu jedem Faktor gibt es zwei gegensätzliche Ausprägungen. Bei dem Faktor Extraversion wären dies beispielsweise introvertiert gegenüber extrovertiert. Für die fünf Faktoren wird auch das Akronym OCEAN verwendet, welches sich aus den Englischen Begriffen der fünf Faktoren bildet (Openness, Conscientiousness, Extraversion, Agreeableness, Neuroticism). Weitere Details zu den fünf Faktoren und ihren jeweiligen Ausprägungen findest Du weiter unten im Text.

Wie kann man die Big Five messen?

Um die Ausprägungen zu ermitteln, werden meist Fragebögen verwendet. Eine Frage zur Ermittlung der Extraversion könnte sein: „Gehst du gerne auf Feiern?“ Hier würde eine starke Zustimmung auf hohe Extraversion hindeuten, da Extraversion positiv mit Geselligkeit in Zusammenhang steht. Anhand der Antworten wird die Testperson dann auf einer Skala zwischen den beiden Ausprägungen eingeordnet, wobei die Position auf der Skala über den Vergleich mit der restlichen Bevölkerung ermittelt wird. Daraus ergibt sich, dass die Einordnung der Big Five immer ein relatives Maß ist, da die Einordnung immer in Bezug auf eine Vergleichsgruppe erfolgt. Folglich ist eine solche Einordnung nicht absolut zu betrachten. Sollte sich die Bevölkerung insgesamt hinsichtlich der Ausprägung eines Merkmals verändern, so würde sich dies also auch auf die Einordnung der getesteten Person auswirken.

Für die Persönlichkeitsmerkmale der Big Five gilt die Normalverteilung, wie die folgende Abbildung zeigt:

Big Five Beispiel

Das heißt, die meisten Menschen liegen bezüglich einer Persönlichkeitseigenschaft im mittleren Bereich (Person B) und haben somit weder eine extrem starke oder schwache Ausprägung dieser Eigenschaft. Sehr weit rechts oder links liegende Ausprägungen (Person A und C) kommen dementsprechend statistisch wesentlich seltener vor.

Wie zu sehen ist, ist Person A besonders introvertiert, während Person C relativ extrovertiert ist. Das heißt, Person C sollte sich insgesamt wesentlich extrovertierter verhalten als Person A. Allerdings handelt es sich bei solchen Resultaten nicht um allgemeingültige Aussagen, sondern um Verhaltenstendenzen. Das bedeutet, dass Person C zwar in vielen Situation extrovertierter handeln wird als Person A, aber in bestimmten Situationen kann dennoch das Gegenteil der Fall sein. Beispielsweise kann ein Manager im Betrieb extrovertiert und stimmungsstabil sein, wohingegen zu Hause seine Frau diese Rolle übernimmt. Einzelne Verhaltensmuster können also stark von Situation zu Situation variieren. Es gilt hier nur, wie sich der Mensch im Großen und Ganzen verhält. Im Laufe des Lebens ändert sich die persönliche Ausprägung dabei oft nur geringfügig.

Aspekte der Big Five

Um die Persönlichkeit von Menschen noch feiner zu differenzieren, können die fünf Faktoren der Big Five zusätzlich in jeweils zwei Aspekte aufgeteilt werden. So setzt sich Extraversion aus den Aspekten Enthusiasmus und Durchsetzungsvermögen zusammen. Die beiden Aspekte korrelieren jeweils moderat miteinander, d.h. Personen mit hohem Enthusiasmus erzielen im Schnitt auch höhere Werte bei Durchsetzungsvermögen. Allerdings ist es im Einzelfall nicht ungewöhnlich, dass die Ausprägungen auf der Ebene der Aspekte unterschiedlich sind. So kann jemand einen durchschnittlichen Wert für Extraversion erzielen, aber gleichzeitig niedrig in Enthusiasmus und hoch in Durchsetzungsvermögen abschneiden.

Big Five Tabelle

Die fünf Faktoren im Detail

Die gegensätzlichen Pole der Persönlichkeitsfaktoren stellen die extremen Ausprägungen der jeweiligen Skala dar. Zu beachten ist, dass diese nicht zu schnell als "gut" oder "schlecht" gewertet werden sollten. Weiterhin interagieren die Ausprägungen der verschieden Dimensionen miteinander, sodass man nach Möglichkeit immer das gesamte Persönlichkeitsprofil betrachten sollte.

Extraversion

Der Faktor "Extraversion" beschreibt vereinfacht gesagt, wie stark ein Mensch soziale Kontakte und stimulierende Umgebungen aufsucht. Je extrovertierter ein Mensch ist, desto größer ist das Bedürfnis nach sozialer Interaktion, Belohnung, positiven Gefühlen und Erregung. Extraversion kann in die Aspekte Enthusiasmus und Durchsetzungsvermögen aufgeteilt werden.

Hohe Ausprägung des Faktors Extraversion = extrovertiert

Niedrige Ausprägung des Faktors Extraversion = introvertiert

Extrovertierte Menschen legen ihren Fokus auf ihre äußere Umwelt (extrovertiert = nach außen gewandt). Sie suchen dabei aktiv soziale Interaktionen und anregende Situationen auf. Auf andere wirken sie oft energetisch, herzlich, dominant, fröhlich, gesellig und gesprächig. Extraversion geht insgesamt mit einer hohen Empfänglichkeit für positive Emotionen einher. Daher suchen extrovertierte Personen besonders stark Situationen auf, die Belohnung versprechen und sind dadurch oft risikofreudiger.

Introvertierte Menschen legen den Fokus ihrer Aufmerksamkeit eher auf ihre eigenen mentalen Vorgänge, sind also nach Innen gewandt. Sie bevorzugen Aktivitäten, welche sie alleine ausführen können und empfinden andauernde und intensive soziale Interaktionen, vor allem mit weniger vertrauten Menschen, als kräftezehrend. Sie sind meist eher still, selbst-reflektierend und ruhig. Da sie weniger stark soziale Interaktionen aufsuchen, wirken sie teilweise reserviert oder schüchtern.

Wissenswertes zum Faktor Extraversion

Extraversion ist die älteste und wahrscheinlich am meisten beforschte Persönlichkeitsdimension. Sie wurde 1921 von C.G. Jung eingeführt, später von anderen Psychologen weiterentwickelt, und schließlich in das Big Five Modell integriert.

Extraversion scheint tendenziell nach der Pubertät kontinuierlich abzunehmen. Frauen zeigen durchschnittlich leicht höhere Werte für Extraversion als Männer, allerdings ist dieser Unterschied minimal. Es gibt mittlerweile Hinweise, dass Extraversion mit der Ausprägung des Annäherungssystems (BAS) in der linken Hemisphäre des Gehirns in Verbindung steht. Eine hohe Aktivität des Annäherungssystems, welches das Zuwenden zu positiven Stimuli darstellt, korreliert mit hoher Extraversion. Entsprechend könnte Extraversion als Empfänglichkeit für positive Emotionen und die Bereitschaft sich auf diese auszurichten interpretiert werden.

Big Five Extraversion
Extraversion (©Canva)


Offenheit für Erfahrungen

Der Faktor "Offenheit für Erfahrungen" gibt wieder, wie empfänglich eine Person für neuartige Erfahrungen, Eindrücke und Ideen ist und wie sehr sie diese aufsucht. Er kann in die Aspekte Offenheit für Erlebnisse und Intellekt (Offenheit für Ideen) aufgeteilt werden.

Hohe Ausprägung des Faktors Offenheit = kreativ, neugierig

Niedrige Ausprägung des Faktors Offenheit = konservativ, vorsichtig

Kreative und neugierige Menschen sind zu neuen Erfahrungen und intellektuellen Herausforderungen hingezogen. Sie sind unkonventionell, visionär, fantasievoll und vielseitig interessiert. Eine hohe Ausprägung geht oft einher mit hoher Kreativität und hängt (wenn auch etwas schwächer) mit Intelligenz zusammen. Menschen mit sehr hoher Offenheit haben allerdings vermehrt Probleme sich an vorgegebene Muster zu halten oder sich auf eine Profession festzulegen, da sie potenziell alles interessiert. Von anderen werden sie manchmal als chaotisch oder exzentrisch wahrgenommen.

Konservative und vorsichtige Menschen bevorzugen Bekanntes und Bewährtes. Sie empfinden es als eher unangenehm, sich komplett neuartigen Situationen oder Ideen auszusetzen (Nach dem Motto: Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht). Entsprechend sind sie oft konventionell, pragmatisch, konservativ, traditionell, sachlich und bodenständig. Sie lassen sich nicht so leicht von ihrer Sache ablenken oder bezüglich ihrer Überzeugung verunsichern und gehen im Schnitt weniger Risiken ein. Im Gegenzug sind sie oft unflexibel in ihren Denkmustern und es fällt ihnen schwerer sich an Veränderungen anzupassen.

Wissenswertes zum Faktor Offenheit

Es ist noch wenig darüber bekannt, wie genau diese Ausprägung auf neuro-biologischer Ebene zustande kommt. Allerdings haben Studien eine vergleichsweise hohe Erblichkeit der Eigenschaft im Vergleich zu den anderen vier Faktoren gezeigt.

Bezüglich Offenheit als Big Five Faktor gibt es keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Allerdings erzielen Männer tendenziell leicht höhere Werte bezüglich Intellekt, der Affinität gegenüber Ideen, während Frauen höhere Werte für den Aspekt Offenheit für Erfahrungen aufweisen.

Big Five Offenheit
Offenheit (©Canva)


Verträglichkeit

Der Faktor "Verträglichkeit" bezieht sich darauf, inwiefern eigene Vorstellungen, Ansichten, Erleben und Wünsche an jene von anderen Menschen angepasst werden. Wer einen höheren Wert bei dieser Dimension hat, verhält sich anderen gegenüber eher kompromissbereit, nachgiebig, und freundlich. Personen mit niedrigem Wert sind im Gegenzug unnachgiebiger, direkter im Umgang und suchen eher die Konfrontation. Männer haben durchschnittlich niedrigere Werte bei der Verträglichkeit als Frauen. Verträglichkeit kann in die Aspekte Mitgefühl und Höflichkeit aufgeteilt werden.

Hohe Ausprägung des Faktors Verträglichkeit = kooperative, höfliche Interaktion

Niedrige Ausprägung des Faktors Verträglichkeit = kritische, konfrontative Interaktion

Kooperative und höfliche Personen nehmen die Emotionen und Interessen anderer stark wahr und räumen ihnen einen hohen Stellenwert ein. Tendenziell sind diese Personen sehr kooperativ, einfühlsam, vertrauensvoll, bescheiden, mitfühlend, hilfsbereit, nachgiebig, vertrauensvoll und gutmütig. Ein hoher Wert hängt insgesamt mit Empathie, Altruismus und Höflichkeit zusammen. Ihre Tendenz sich an anderen anzupassen erleichtert meist die Kooperation mit ihnen. Allerdings ist es dadurch für verträgliche Menschen manchmal schwer, eigene Ideen zu verwirklichen und ihren Bedürfnissen Ausdruck zu verleihen. Ebenso laufen sie stärker Gefahr, von anderen Menschen manipuliert und ausgenutzt zu werden.

Kritische und konfrontative Menschen richten sich mehr nach ihrer eigenen Meinung und Interessen, als nach den Meinungen und Interessen anderer. Sie sind eher kritisch, eigenständig, individualistisch, rational, wettbewerbsorientiert, misstrauisch, egozentrisch, und konfrontativ. Solche Menschen folgen primär eigenen Vorstellungen und sind eher Einzelkämpfer als Teamplayer. Ihr Verhalten wird von anderen teilweise als emotional kühl und gefühllos empfunden, allerdings sind sie im Gegenzug oft besser in der Lage Überzeugungen anderer kritisch zu hinterfragen und sich selbst und ihre eigenen Vorstellungen durchzusetzen.

Wissenswertes zum Faktor Verträglichkeit

Die Verträglichkeit scheint mit dem Alter leicht zuzunehmen. Es gibt hier Hinweise auf kulturelle Unterschiede. Hohe Verträglichkeit scheint stärker in manchen Kulturen Süd-Ost-Asiens ausgeprägt zu sein. Außerdem besitzen Frauen im Schnitt etwas höhere Werte für Verträglichkeit als Männer.

Big Five Verträglichkeit
Verträglichkeit (©Canva)


Gewissenhaftigkeit

Der Faktor "Gewissenhaftigkeit" gibt den Grad an Ordentlichkeit, Selbstdisziplin und Zielstrebigkeit an. Die Voraussetzung für diese Eigenschaft ist die persönliche Selbstkontrolle. Je besser sich ein Mensch kontrollieren kann, desto leichter fällt ihm eine gewissenhafte Arbeitsweise. Insgesamt geht eine hohe Gewissenhaftigkeit mit erhöhten Erfolgschancen in mehreren Lebensbereichen einher. Doch wie bei allen Faktoren der Big Five hängt es von der Situation und weiteren Persönlichkeitsfaktoren ab, ob eine Ausprägung vorteilhaft ist oder nicht. Gewissenhaftigkeit kann in die Aspekte Fleiß und Ordentlichkeit aufgeteilt werden.

Hohe Ausprägung des Faktors Offenheit = strukturiertes, gewissenhaftes Vorgehen

Niedrige Ausprägung des Faktors Offenheit = unstrukturiertes, nachlässiges Vorgehen

Strukturierte und gewissenhafte Menschen sind in ihrer Art zielstrebig, organisiert, ordentlich, diszipliniert und pflichtbewusst. Sie gelten außerdem als zuverlässig, ehrgeizig, fokussiert, ernst und effektiv. Insgesamt besitzen sie meist einen hohen Grad an Selbstkontrolle, welcher ihnen hilft Ziele zu erreichen und Vorgaben einzuhalten. Entsprechend ist es nicht verwunderlich, dass sie in ihrer akademischen und beruflichen Laufbahn überdurchschnittlich erfolgreich sind und einen gesunden und bewussten Lebensstil pflegen. Allerdings werden sie teils auch als unflexibel oder pedantisch wahrgenommen und neigen eher zu Perfektionismus.

Unstrukturierte und nachlässige Personen handeln primär entlang momentaner Bedürfnisse. Sie sind eher spontan, entspannt, flexibel und sorgenfrei. Aber auch weniger organisiert, leicht ablenkbar, unordentlich, nachlässig und eher unzuverlässig. Ebenso neigen sie eher zu Prokrastination, also dem Aufschieben wichtiger Aufgaben.

Wissenswertes zum Faktor Gewissenhaftigkeit

Gewissenhaftigkeit gilt als effektiver Prädikator für Berufserfolg. Menschen mit starker Ausprägung in diesem Faktor werden im Durchschnitt von ihren Ausbildern besser bewertet, haben ein höheres Einkommen und einen besseren Output am Arbeitsplatz, und weisen bessere Führungsqualitäten auf. Mit zunehmendem Alter steigt der durchschnittliche Wert für Gewissenhaftigkeit und erreicht um die 40 etwa einen Höchststand.

Big Five Gewissenhaftigkeit
Gewissenhaftigkeit (©Canva)


Neurotizismus

Der Faktor "Neurotizismus" gibt wieder, wie sensitiv eine Person für negative Emotionen ist. Je empfindlicher die Person gegenüber negativen Emotionen ist, desto stärker reagiert sie meist auf Belastungen wie Stress und negative Gefühle. Neurotizismus kann in die Aspekte Rückzug und Volatilität aufgeteilt werden.

Hohe Ausprägung des Faktors Neurotizismus = Hohe Empfindlichkeit

Niedrige Ausprägung des Faktors Neurotizismus = Hohe Belastbarkeit

Personen mit hoher Empfindlichkeit reagieren meist empfindlich auf negative Ereignisse und Emotionen. Sie tendieren dazu ängstlich, besorgt, emotional instabil, reizbar, frustriert, gehemmt, pessimistisch, und nervös zu sein. Ein hoher Neurotizismus Wert hängt mit Stressanfälligkeit sowie erhöhter Anfälligkeit für Depressionen und Angststörungen zusammen.

Menschen mit hoher Belastbarkeit sind durchschnittlich eher ausgeglichen, optimistisch, beherrscht, entspannt, stressfrei, ruhig und sorgenfrei. Sie lassen sich von negativen Ereignissen meist nicht aus der Ruhe bringen, was aber auch dazu führen kann, dass Gefahren unterschätzt werden. Entsprechend besteht sowohl ein Zusammenhang zu erhöhter Widerstandsfähigkeit, wie auch zu erhöhter Risikobereitschaft.

Wissenswertes zum Faktor Neurotizismus

Es bestehen Hinweise, dass Neurotizismus mit der Ausprägung des inhibitorischen Systems (BIS) in der rechten Hemisphäre des Gehirns in Verbindung steht. Dieses System aktiviert vor allem vermeidendes Verhalten und steht in Zusammenhang mit dem Empfinden von bestimmten negativen Emotionen wie Trauer oder Angst. Dies bekräftigt, dass Neurotizismus im Wesentlich als ein Maß an negativ-vermeidenden Emotionen gesehen werden kann. Hier ist zu bemerken, dass es auch negativ empfundene Emotionen wie Wut gibt, welche nicht in dieses Schema passen, da sie eher eine Annäherung initiieren.

In dieser Hinsicht kann Neurotizismus als analoger Gegenpart zur Extraversion, der Empfindlichkeit gegenüber positiven/anziehenden Stimuli, gesehen werden. Wichtig und interessant ist, dass Neurotizismus und Extraversion aber relativ unabhängig voneinander sind und sich nicht gegenseitig ausschließen. Eine Person kann sowohl hohe Werte in Neurotizismus als auch hohe Werte in Extraversion aufweisen. Also kann eine Person sowohl empfindlich für positive als auch für negative Emotionen sein. Eine solche Person würde dem Modell entsprechend sehr energetisch auftreten, da sich sowohl positive als auch negative Reize stark auf die Person auswirken und diese antreiben. Eine Person mit niedriger Ausprägung in beiden Faktoren würde dagegen eher ruhig und insgesamt weniger motiviert erscheinen.

Big Five Neurotizismus
Neurotizismus (©Canva)


Geschichte der Big Five

Seit den 1980er Jahren waren internationale Forscher der Überzeugung, dass es fünf Grunddimensionen der Persönlichkeit gäbe, die die Unterschiede zwischen den Menschen beschreiben können. Bereits im Jahr 1949 wurden die Big Five als Persönlichkeitsmodell beschrieben. Bekannt wurden sie jedoch erst 1985, durch den Persönlichkeitstest "NEO Personal Inventory" von Paul Costa und Robert McCrae. In diesem sind die fünf Faktoren in jeweils sechs Unterkategorien (Facetten) gegliedert. Die beiden Forscher konnten solide Belege finden, dass fünf stabile Faktoren als Grunddimensionen der Persönlichkeit existieren und dies relativ unabhängig von den statistischen Methoden, Fragebögen, dem Kulturraum und der Art der Stichprobe. Diese Faktoren konnten in Selbst- und Fremdbeschreibungen der Person durch Freunde oder Familienmitglieder bekräftigt werden.

Big Five Geschichte
Geschichte Der Big Five (©Canva)

Der Psychologe Lewis Goldberg machte dann in den 80er Jahren den Begriff Big Five allgemein bekannt. Das Konzept wurde in verschiedene Sprachen übersetzt und in unterschiedlichen Kulturen erprobt, wobei man immer zu einem ähnlichen Ergebnis (nämlich den fünf Persönlichkeitsmerkmalen) kam. In Deutschland wurde die Theorie in den frühen 90ern von Angleiter und Ostendorf bestätigt, woraufhin die Forschung zu den Big Five in den letzten 20 Jahren regelrecht explodiert ist und seitdem immer mehr Modelle und Tests entwickelt werden, welche darauf beruhen.

Zur Erstellung der Big Five nutzte der bekannte amerikanische Psychologe Cattell den lexikalischen Ansatz: dabei suchte man aus einem Lexikon alle Wörter heraus, die menschliche Eigenschaften beschreiben. Mit diesen Wörtern erstellte man eine Liste und legte diese den Testpersonen vor, welche aus der Liste die Ausdrücke auswählten, die sie selbst und andere am besten charakterisieren. Es entstand eine Liste mit 4504 Begriffen, die mittels aufwändiger statistischer Berechnungen auf 171 Gegensatzpaare gekürzt werden konnten. Dabei erkannte man welche Wortkombinationen oft auftreten, wie z.B. "gesellig" in Verbindung mit "kontaktfreudig" oder „enthusiastisch“. Die Begriffe konnten letztendlich in fünf große Überkategorien eingeteilt werden, die Big Five.

Der Test

Für einen Test werden meist Fragebögen verwendet, welche die zu untersuchende Person ausfüllt. Ansonsten ist auch eine Fremdbeurteilung durch Angehörige, Psychiater oder Psychologen möglich. Um akkurat festzustellen, wie ein Faktor bei einer Person ausgeprägt ist, werden mehrere Fragen zu diesem Faktor gestellt. Alle Fragen sollten mit dem entsprechenden Faktor zusammenhängen, aber unterschiedliche Situationen und Lebensbereiche der Person abdecken, damit eine möglichst allgemeingültige Aussage über die Person gemacht werden kann.

Einer der am häufigsten eingesetzten Tests für Jugendliche und Erwachsene ist der Test "NEO-PI-R". Er ist mit 240 Items ein sehr umfassender Test und unterteilt die fünf Faktoren noch jeweils in sechs Unterskalen (Facetten). Die Bearbeitungszeit ist mit 35 Minuten relativ lang, weswegen es auch eine Kurzversion mit nur 60 Items und einer Bearbeitungszeit von 10 Minuten gibt, den NEO-FFI. Beide Tests sind lizenziert, allerdings gibt es auch frei verfügbare Versionen, wie den IPIP (International Personality Item Pool).

Grundsätzlich gilt: Je mehr Fragen ein Test besitzt, desto akkurater kann er bestenfalls sein. Es ist hier fraglich, ob Tests mit 10 oder weniger Items eine nennenswerte Aussagekraft besitzen können.

Bei manchen anderen Verfahren, wie dem populären Myers-Briggs Test, wird die Ausprägung oft starr in zwei Kategorien eingeteilt. Jemand ist also entweder extrovertiert oder introvertiert. Beim Big Five wird meist dagegen die jeweilige Ausprägung in Relation zu der Gesamtbevölkerung verwendet. Ein Ergebnis könnte hier sein, dass beispielsweise Person A extrovertierter ist als 55% der restlichen Bevölkerung, was einen großen Unterschied darstellt zu einer Person, die extrovertierter ist als 99% der anderen Menschen. Der Big Five geht hier also meist nuancierter vor und lädt dadurch etwas weniger zu starren Schubladendenken ein. Wobei dies konkret die Auswertung des Tests betrifft, welche grundsätzlich auch für andere Persönlichkeitsmodelle ähnlich vorgenommen werden könnte.

Für die Bewertung der Qualität eines Testverfahrenes insgesamt sind vor allem die Zuverlässigkeit, Gültigkeit und Objektivität von Bedeutung. Die etablierten Big Five Tests erfüllen diese Merkmale sehr gut. Sie haben eine hohe Messqualität und Teilnehmer erzielen auch bei späteren Tests sehr ähnliche Ergebnisse, sodass sie als Grundlage für verschiedene Persönlichkeitstests dienen können.

Anwendungen

In vielen modernen Persönlichkeitstests dienen die Big Five als Grundlage. Vor allem in der wissenschaftlichen Persönlichkeitsforschung kommt dieses Modell zum Einsatz. In den USA gehören Tests auf Basis der Big Five schon lange zum Standard der Persönlichkeitsanalyse und Beratung, wohingegen sie in Europa erst seit einigen Jahren etabliert sind. Besonders in Bereichen wie der Stressforschung, im Schul- oder Erziehungsbereich, im Management und in der Erforschung politischer Einstellungen ist das Fünf-Faktoren-Modell in der heutigen Zeit von großer Bedeutung. Es folgen einige ausführlichere Beispiele.

Unternehmen

Big Five Unternehmen
Big Five im Unternehmen (©Canva)

Der Big Five wird von einigen Unternehmen als Teil des Auswahlprozesses von Bewerbern verwendet. Dabei wird vor allem Gewissenhaftigkeit als positiver Vorhersagewert gesehen, da dieser mit Berufserfolg und erbrachter Arbeit zusammenhängt. Aber auch andere Aspekte können je nach Aufgabengebiet für ein Unternehmen mehr oder weniger wünschenswert sein. So fällt es wahrscheinlich jemanden, der überdurchschnittlich extrovertiert ist, leichter, aktiv mit Kunden zu interagieren und das eigene Produkte zu bewerben.

Eine Schwachstelle des Einsatzes ist, dass Bewerber sich dem Zweck des Tests zumindest im Ansatz bewusst sind und entsprechend Antworten geben, die dem potenziellen Arbeitgeber zusagen. Das Testergebnis ist hier also oft systematisch verfälscht. Allerdings konnte gezeigt werden, dass zumindest bei bestimmten Branchen wie dem Verkauf diese Verfälschung der Nützlichkeit des Tests nicht wirklich geschadet hat. Denn Menschen, die gut erraten konnten, was der Arbeitgeber suchte, und ihre Antworten entsprechend angepasst haben, haben sich in dieser Hinsicht selbst effektiv vermarktet haben und wurden im Schnitt oft generell gute Verkäufer.

Des Weiteren kann der Big Five Test beispielsweise im Marketing verwendet werden, um Zielgruppen zu analysieren. In einer Zeit, in der große Mengen an Daten digital gesammelt werden, um die Konsumentenpersönlichkeit zu entschlüsseln, können dafür nutzbare Modelle potenziell zum Erfolgsfaktor für Unternehmen werden. Entsprechend gibt es bereits Anbieter, die Unternehmen entsprechende Programme und Dienste auf Basis des Big Five Modells zur Verfügung stellen.

Verständnis von sich und anderen

"Erkenne dich selbst!" – die Aufforderung, welche auf eine Inschrift über dem Orakel von Delphi zurück geht, gilt auch heute noch vielen als Imperativ. Wie viel man wirklich Neues über sich durch einen Persönlichkeitstest erfährt, ist dabei sicher Diskussionssache. Bei der standardmäßigen Selbstauskunft wird nur verwendet, was die Person selbst angibt, also eigentlich schon von sich weiß. Dennoch kann ein entsprechender Test helfen, sich zumindest in Bezug auf andere einzuordnen. Ist man z.B. nur leicht oder stark gewissenhaft in seinem Denken und Handeln geprägt?

Außerdem können die Big Five auf Aspekte der eigenen Person hinweisen, welche man so vielleicht übersieht oder verdrängt. Sicherlich wird man durch die Big Five wenig vollkommen Neues erfahren, aber gerade eigene Stärken und Schwächen können bewusster und deutlicher gemacht werden. Es kann also durchaus Sinn machen, nur für sich selbst einen Persönlichkeitstest zu machen.

Solltest Du Dich dazu entschließen, einen Test zu machen, versuche nicht all zu viel in das Ergebnis hineinzuinterpretieren, da sonst das Problem selbsterfüllender Prophezeiungen auftreten kann: Wenn man sich an einer Aussage des Tests orientiert und diese als wahr übernimmt, kann dies dazu führen, dass man sich auch entsprechend so verhält, obwohl man sich zuvor ganz anders verhalten hat.

Es sollte auch nicht vernachlässigt werden, dass sich die Big Five Persönlichkeitsmerkmale zu einem gewissen Grad über die Zeit verändern können. Sie sind kein statisches Urteil über eine Person. Und dies trifft noch viel mehr auf einzelne Aspekte zu. Es kann sein, dass es manchen Personen weniger leicht fällt Ordnung zu halten, aber mit entsprechenden Aufwand und Routine kann auch eine wenig gewissenhafte Person lernen bestimmte Plätze ordentlich zu verwalten. Ein Testergebnis sollte nie als Freifahrtschein oder lebenslanges Urteil verwendet werden.

Es ist also wie angedeutet vor allem wichtig, wie man ein Testergebnis für sich selbst interpretiert und anwendet. Ein potentieller Nutzen eines solchen Tests kann sein, besser zu verstehen wo man in Bezug auf andere steht und gleichzeitig dadurch auch mehr Verständnis für andere zu entwickeln. Denn eine andere Persönlichkeitsausprägung bringt auch eine andere Perspektive mit sich.

Big Five Perspektivenwechsel
Big Five Perspektivenwechsel (©Canva)

Gleichzeitig stellt dies aber eben keine Entschuldigung für inakzeptables Verhalten von sich selbst oder anderen dar. Mit einer Persönlichkeitsausprägung geht letztendlich auch ein persönlicher Entwicklungsauftrag einher. Dabei sollte es meist weniger das Ziel sein, seine Ausprägung zu ändern, sondern das Spektrum der eigenen Persönlichkeit so zu erweitern, damit angemessen auf verschiedene Situationen reagiert werden kann. So kann eine verträgliche Person ihren empathischen Umgang mit Familie und Freunden bewahren, gleichzeitig aber lernen in bestimmten Situationen, z.B. im Beruf bei einer Gehaltsverhandlung, durchsetzungsfähiger und Ich-Bezogener zu agieren.

Partnerwahl und Beziehung

Einige Dating Apps verwenden bereits Fragebogen und Algorithmen, um die Persönlichkeit von Nutzern zu analysieren und diese dann mit Nutzern mit ähnlicher Persönlichkeit zu "matchen". Bei diesen Algorithmen werden auch Persönlichkeitstests verwendet, die auf dem Ansatz der Big Five basieren. Allerdings ist hier nicht klar, inwiefern Menschen mit ähnlicher Persönlichkeitsausprägung auch höhere Chancen besitzen, zusammen zu kommen oder eine erfolgreiche Beziehung zu führen. Es gibt zwar Zusammenhänge zwischen einzelnen Ausprägungen der Persönlichkeit mit empfundener Zufriedenheit in der Beziehung. So sind Menschen mit hohen Ausprägungen in Verträglichkeit, Extraversion und Gewissenhaftigkeit sowie mit niedrigen Ausprägungen in Neurotizismus im Schnitt leicht glücklicher mit ihrer Beziehung als andere Menschen.

Allerdings gibt es nur schwache oder unsystematische Effekte der Ähnlichkeit zwischen Ausprägungen auf die Zufriedenheit in der Beziehung. Manche Studien haben eine Korrelation zwischen Ähnlichkeit und Zufriedenheit festgestellt, andere nicht. Bezüglich einzelner Merkmale, z.B. Durchsetzungsvermögen, gibt es sogar teilweise Evidenzen für einen umgekehrten Zusammenhang. Das heißt, je unähnlicher sich hier die Partner sind, desto zufriedener sind sie mit der Beziehung. Insgesamt scheint ein Persönlichkeitstest wie die Big Five also kein überaus nützliches Kriterium für die Partnerwahl zu sein.

Big Five Partnerschaft
Big Five Partnerschaft (©Canva)

Die Big Five können jedoch helfen, mehr Verständnis für den Partner zu entwickeln sowie spezifische Probleme in der Beziehung zu antizipieren und auf diese besser eingehen zu können. Wenn beispielsweise ein Partner wesentlich verträglicher als die andere Person ist, wird dieser Partner stärker Kompromisse eingehen und Streit vermeiden. Dies kann auf der einen Seite dazu führen, dass er/sie vom anderen Partner nicht mehr ernst genommen wird. Gleichzeitig kann sich ein innerer Frust darüber aufbauen, dass die eigenen Bedürfnisse und Wünsche vom anderen nicht anerkannt oder umgesetzt werden. Wenn dies der Fall ist, kann es helfen, wenn sich beide Partner über die Ausprägung der eigenen Persönlichkeit und der des Partners bewusst werden, da so das Verhalten des anderen weniger leicht missverstanden wird.

Außerdem lassen sich durch die Big Five Lösungswege ableiten. So kann der verträglichere Partner aktiv versuchen seine eigenen Interessen vorzubringen und Konflikte weniger zu vermeiden. Der weniger verträgliche Partner könnte im Gegenzug versuchen, mehr auf die Bedürfnisse des Partners einzugehen und bewusst nicht jede Gelegenheit zu nutzen die eigenen Ansprüche und Ansichten durchzusetzen.

Sind die Big Five angeboren?

Ja und Nein. Grundsätzlich gilt:

Ein Mensch ist immer ein "Produkt" von genetischer Veranlagung und Umwelt: Ohne Umwelt gäbe es keine Ausprägung der genetischen Veranlagung und ohne genetische Veranlagung gäbe es kein Lebewesen, auf welches die Umwelt einwirken kann. Die Ausprägung eines Merkmals selbst lässt sich also keinem der beiden Parteien (genetische Veranlagung / Umwelt) eindeutig zuordnen.

Allerdings können wir untersuchen, zu welchem Anteil sich die Unterschiede zwischen Individuen jeweils auf erbliche oder Umweltfaktoren zurückführen lassen. Dabei ist zu beachten, dass auch der Anteil selbst immer von der Umweltsituation abhängt. Nehmen wir als Beispiel die Körpergröße. Wir wissen, dass die Körpergröße von bestimmten Ausprägungen der Gene beeinflusst wird. Allerdings gibt es auch Umweltfaktoren (Mangelernährung, Stress, etc.), welche sich während der Schwangerschaft und Kindheit auf die Körpergröße auswirken können. Je stärker und je unterschiedlicher diese Faktoren ausgeprägt sind, desto weniger ist das Resultat von den Genen abhängig. Selbst wenn ein Kind das genetische Potential hätte, 1,90 Meter groß zu werden, kann es dies eben nur, wenn es auch Zugang zu ausreichend Nahrung besitzt. Wenn allerdings die Umwelt für alle Individuen möglichst gleich ausfällt, indem bspw. jedes Kind das gleiche Nahrungsangebot besitzt, können sich genetische Unterschiede maximal manifestieren. Je nach Bedingungen kann der Anteil der Erblichkeit also variieren.

Bezüglich der Big Five ergaben Berechnungen anhand verschiedener Versuchsmethoden, wie Zwillings- oder Adoptionsstudien, dass erbliche Faktoren wahrscheinlich für etwa 40% der Unterschiede zwischen Menschen hinsichtlich der Persönlichkeit verantwortlich sind. Zu beachten ist hier, dass die meisten Forschungsergebnisse sich auf Menschen westlicher Länder beziehen und aufgrund der vorher beschriebenen Gründe sich nicht ohne weiteres 1:1 auf andere Kulturen übertragen lassen. Man kann zusammenfassend sagen: Unsere Gene spielen eine wichtige Rolle bei der Ausprägung unserer Persönlichkeit. Unsere Umwelt und unsere Entscheidungen aber mindestens genauso stark.

Gene und Umwelt
Gene und Umwelt (©Canva)

Unterschiede zwischen den Geschlechtern

Es gibt mittlerweile einige Studien zu Unterschieden in den Ausprägungen entlang der fünf Faktoren in Bezug auf unterschiedliche Geschlechter. Die Ergebnisse sind zwar nicht komplett einheitlich, allerdings tauchen manche Muster immer wieder auf. So wurde wiederholt gemessen, dass Frauen im Durchschnitt höhere Werte für Neurotizismus aufweisen. Genauso schnitten Frauen auch höher in Verträglichkeit ab, wobei hier je nach Studie die Unterschiede relativ deutlich oder nur sehr gering ausfallen. Ebenso weisen Frauen höhere Werte in Extraversion und Gewissenhaftigkeit auf, auch wenn die Unterschiede hier nur minimal sind. Bezüglich des Faktors Offenheit scheint es dagegen keinen systematischen Unterschied zu geben.

Bezüglich dieser Befunde gilt es zwei Aspekte zu beachten:

  1. Zum einen sollte bei solchen Ergebnissen generell klar sein, dass sich nicht von dem Durchschnitt auf das Individuum schließen lässt.
  2. Zum anderen sind diese Unterschiede umgangssprachlich gesagt klein bis sehr klein.

Hintergrundwissen zum "Maß Cohen´s

Die Größe eines Unterschieds zwischen zwei Gruppen wird in der Psychologie oft als das Maß Cohen´s d angegeben. Dabei weisen die größeren Unterschiede von Neurotizismus und Verträglichkeit meist Werte zwischen 0.1 und 0.5 auf, während Extraversion und Gewissenhaftigkeit sich oft im Bereich 0.05-0.2 unterscheiden. Zum Vergleich, die Körpergröße zwischen den Geschlechtern unterscheidet sich mit einem Cohen´s d von etwa 1.4. Die Unterschiede bezüglich der Persönlichkeitsausprägungen sind also deutlich kleiner. Zur Veranschaulichung ist in der folgenden Abbildung dargestellt, wie die unterschiedliche Verteilung bei einem Cohen´s d von 0.4 aussieht, was etwa den für Neurotizismus gefundenen Werten entspricht.

Cohen Maß

Die untere Skala entspricht dem Abschneiden beim Persönlichkeitstest zu dem jeweiligen Faktor. Die Höhe der Kurve gibt an, wie groß der Anteil der Menschen in der jeweiligen Gruppe ist, hier das Geschlecht, die einen entsprechenden Wert erzielen. Wie zu sehen ist, überschneidet sich hier der Großteil der Kurven. Der Unterschied ist also relativ klein. Bei solch kleinen Werten wird der Unterschied oft nur an den Rändern der Verteilung wirklich relevant, da er hier meist stärker ausfällt. Beispielsweise ist die Bereitschaft zu körperlicher Gewalt bei Männern im Mittel nur leicht erhöht im Vergleich zu Frauen, wohingegen Menschen, welche durch extreme körperliche Gewalt auffallen mit deutlicher Mehrheit männlich sind.

Das Muster der Geschlechtsunterschiede variiert zwar von Kultur zu Kultur, allerdings betrifft dies meist nur wie deutlich die Unterschiede ausgeprägt sind, wohingegen die Richtung des Unterschieds fast immer bestehen bleibt. Interessanterweise führen Wohlstand und Gleichberechtigung anscheinend, entgegen mancher Intuition, zu größeren Unterschieden zwischen den Geschlechtern. So sind in modernen westlichen Kulturen die gemessenen Unterschiede oft höher als in traditionellen Kulturen. Wie zuvor bezüglich der Erblichkeit von Merkmalen beschrieben wurde, könnte der Grund hierfür sein, dass in Abwesenheit von sozialen und ökonomischen Unterschieden sich biologische Unterschiede maximal entfalten können. Dies deutet entsprechend darauf hin, dass zumindest ein Teil der Geschlechtsunterschiede bezüglich der Big Five angeboren sind. Die Kultur und allgemeine Umwelt spielen hier aber sicher ebenfalls eine Rolle und auch angeborene Eigenschaften können sich je nach Rollenvorbildern unterschiedlich manifestieren.

Insgesamt lässt sich also sagen, dass es zwar Unterschiede zwischen den Geschlechtern bezüglich der Persönlichkeitsfaktoren gibt, diese aber relativ klein ausfallen und auch von den Umständen beeinflusst werden.

Grenzen des Ansatzes: Kritik an den Big Five

Die Big Five gelten in Fachkreisen immer noch als bestes und verlässlichstes Modell zur Beschreibung der Persönlichkeit. Dennoch gibt es einzelne Kritikpunkte bezüglich Allgemeingültigkeit und Anwendungen:

  1. Kritikpunkt 1: mangelnde theoretische Grundlage

    Diese Kritik bezieht sich vor allem auf die Anfänge der Big Five und trifft heute nur noch bedingt zu, da mittlerweile einige psychologische, biochemische und neurologische Grundlagen in Verbindung mit dem Modell bekannt sind. Die Grundlage der Items der Big Five beruht ursprünglich auf dem reinen Vorkommen von Beschreibungen in der Alltagssprache, also letztendlich auf der subjektiven Wahrnehmung von Laien. Anders als bei vielen anderen Theorien hat man sich bei dem Aufstellen nicht auf bestehende Theorien gestützt, was man allerdings sowohl als Schwäche wie auch als Stärke des Ansatzes auslegen kann.

  2. Kritikpunkt 2: schwammige Definitionen der fünf Faktoren

    Dieses Problem ergibt sich gewissermaßen aus dem lexikalen Ansatz der Big Five. Da die Alltagssprache bezüglich Persönlichkeit oft schwammig ist, können die daraus extrahierten Faktoren nur im begrenzten Maße genauer sein. Während das generelle Konzept der Big Five sich stark etabliert hat, herrscht bezüglich der genauen Definition einzelner Faktoren noch durchaus Uneinigkeit.

  3. Kritikpunkt 3: das Modell ist kultur-spezifisch

    Da die fünf Faktoren des Tests nur durch Sprache bzw. Eigenschaftswörter definiert werden, können nur solche Eigenschaften erfasst werden, bei denen entsprechende Begriffe durch den lexikalischen Ansatz berücksichtigt wurden. Es stellt sich damit die Frage, inwiefern dieser Ansatz für andere Kulturen mit abweichenden sprachlichen Konstrukten gültig ist. Es hat sich zwar gezeigt, dass die Big Five auch bei Menschen in anderen Kulturen durchaus sinnvoll anwendbar sind, allerdings ist die Validität des Modells hier teilweise deutlich geringer.

  4. Kritikpunkt 4: die Big Five sind unvollständig

    Ähnlich dem vorherigen Kritikpunkt könnte man annehmen, dass manche grundsätzliche Eigenschaften der Persönlichkeit in der ursprünglichen Sprache, also Englisch, nicht wirklich wiedergegeben werden. Außerdem gehen manche Eigenschaften in der Zusammenfassung zu Faktoren unter oder werden nur relativ schlecht durch diese definiert und vorhergesagt. So gibt es mittlerweile Befürworter eines Sechs-Faktoren Modells, welches die Big Five um die Persönlichkeitseigenschaft „Ehrlichkeit-Bescheidenheit“ erweitert.

    Dabei sollte beachtet werden, dass jedes Persönlichkeitsmodell letztlich eine Vereinfachung der fast unbegrenzten Komplexität eines Menschen ist. Je sparsamer das Modell bezüglich der Anzahl von erhobenen Eigenschaften, desto einfacher und handlicher ist es. Aber eben auch umso unpräziser und verallgemeinernder wird es. Entsprechend kann es nach Gegebenheit nützlich sein, das Big Five Modell durch die erwähnten Aspekte und Facetten der einzelnen Faktoren zu ergänzen. Außerdem müssten für ein vollständigeres Bild auch andere Merkmale der Person berücksichtigt werden, wie z.B. ihr Umfeld, ihre Lebensgeschichte etc., um diese Faktoren dann in den Persönlichkeitstest einzubeziehen.

  5. Kritikpunkt 5: starke Wertung der Ausprägung einzelner Faktoren

    Oft wird auf Grund bestehender gesellschaftlicher Normen und Erwartungen eine hohe Extraversion, Offenheit, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit als positiv beschrieben, wohingegen niedrige Werte in diesen Faktoren oder hoher Neurotizismus als negativ bewertet werden. Man muss jedoch berücksichtigen, dass bei jedem Faktor, je nach Kontext, eine starke oder schwache Ausprägung jeweils Vorteile oder Nachteile haben kann. Außerdem kann die Ausprägung der Faktoren sehr unterschiedlich interpretiert werden. Dieselbe Eigenschaft kann je nach Ermessen mit positiven oder negativen Adjektiven belegt und entsprechend bewertet werden. Was für eine Person als rücksichtsvoll und aufopfernd gilt, erscheint für eine andere Person als unterwürfig und anbiedernd. Und letztendlich entscheiden nicht die grundlegenden Persönlichkeitseigenschaften abschließend darüber, ob sich eine Person moralisch verhält. Eine verträgliche Person kann sich empathisch sowohl stark mit einem verfolgten Opfer als auch mit dem Jäger, der es verfolgt, identifizieren. Dies ist allerdings wohl weniger eine Schwäche des Modells selbst, sondern wie es jeweils interpretiert und angewendet wird.

Fazit

Die Big Five sind und bleiben vorerst der Goldstandard der Persönlichkeitsforschung. Sie sind wissenschaftlich gut fundiert, international anerkannt und insgesamt das am besten erforschte Persönlichkeitsmodell der Psychologie. Der Test ist recht ökonomisch, da man bereits mit der Beantwortung von 60 Fragen verwertbare Einschätzungen treffen kann. Unklarheiten gibt es jedoch noch bei der genauen Definition der Faktoren und der Vollständigkeit der Erfassung der Persönlichkeit. Vorsicht ist auch bei der Interpretation geboten. Letztendlich ist das Modell eine Vereinfachung der Realität, welche zwar sehr nützlich sein kann, aber eben auch nur ein unvollständiges Abbild der komplexen menschlichen Psyche darstellt.




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