Leitsystem / Führungs-System (Lead System)
Definition
Das Leitsystem bezeichnet im NLP das Repräsentationssystem, das ein Mensch bevorzugt nutzt, um sich Informationen intern zugänglich zu machen – insbesondere in frühen Phasen eines mentalen oder erinnernden Prozesses.
Es ist jenes sensorische System (visuell, auditiv, kinästhetisch etc.), das im inneren Informationszugang führend ist – es „leitet“ den Prozess des internen Abrufens, Bewertens oder Verstehens. Es kann – muss aber nicht – mit dem bewusst bevorzugten Repräsentationssystem identisch sein.
Abgrenzung
Das Leitsystem ist nicht notwendigerweise das gleiche wie das bevorzugte Repräsentationssystem (PRS), das sich meist im bewussten Denken, Sprechen und Verhalten zeigt. Während das PRS eher Ausdruck bewusster Verarbeitung ist, beschreibt das Leitsystem unbewusste Zugangsprozesse.
Ursprung und Theoretischer Hintergrund
Das Konzept wurde in den 1970er Jahren im Rahmen der Entwicklung des NLP von Richard Bandler, John Grinder und Kollegen eingeführt, insbesondere in Zusammenhang mit der Analyse kognitiver Strategien. Es basiert auf der Grundannahme, dass Menschen ihre Realität über Sinnesmodalitäten (Repräsentationssysteme) intern konstruieren – und dass dabei bestimmte Systeme dominanter sind oder als Einstiegspunkt dienen.
Früh erkannt wurde: Menschen benutzen zur Informationsverarbeitung oft eine Sequenz mehrerer Repräsentationssysteme (eine sogenannte Strategie). Das erste Glied dieser Kette ist das Leitsystem – der Startpunkt eines internen Vorgangs.
Anwendungsbeispiele
- Erinnerungsarbeit im Coaching: Ein Klient erinnert sich an ein früheres Erlebnis. Auf die Frage „Wie weißt du, dass du dich an das Ereignis erinnerst?“ berichtet er zuerst von einem inneren Bild. Das Bild (visuelles System) dient ihm als Zugang – es ist das Leitsystem. Danach kommen Emotionen oder Geräusche – nachgelagert im kognitiven Prozess.
- Lernstrategie-Analyse bei Schülern: Eine Schülerin ruft beim Lernen zuerst innerlich einen Ton oder ein gesprochenes Wort ab, bevor sie sich das Bild oder die Bewegung dazu vorstellt. Das auditive System ist hier das Leitsystem.
- Verkaufspsychologie: Ein Verkäufer achtet bei der Bedarfsanalyse auf die Augenbewegungen des Kunden. Er erkennt, dass der Kunde beim Nachdenken immer zuerst visuelle Augenbewegungen nach oben macht – ein Hinweis auf ein visuelles Leitsystem.
Einsatzbereiche
- Therapie: Analyse von Denk- und Verarbeitungsstrategien bei Ängsten oder Blockaden.
- Coaching: Optimierung von Lern- oder Entscheidungsstrategien.
- Führungskräfteentwicklung: Erkennen individueller Denkprozesse, um Kommunikation anzupassen.
- Pädagogik: Individualisierte Lernstrategien durch Kenntnis sensorischer Zugangswege.
- Verkauf & Kommunikation: Anpassung sprachlicher und nonverbaler Signale an das Leitsystem des Gegenübers (Rapport-Vertiefung).
Methoden und Übungen
- Strategie-Elicitation (Strategien erfragen): Eine NLP-Technik, bei der über präzise Fragen (z.B. „Was passiert in Dir, wenn Du daran denkst?“) die Abfolge der genutzten Repräsentationssysteme identifiziert wird.
- Augenbewegungsanalyse: Beobachtung lateraler und vertikaler Augenbewegungen zur Erkennung des genutzten Systems.
- Leitsystem bewusst aktivieren: Durch gezielte Anker (visuell, auditiv, kinästhetisch) lässt sich das bevorzugte Zugangssystem aktivieren, um Zugang zu Ressourcen oder gewünschten Zuständen zu erleichtern.
Synonyme oder verwandte Begriffe
- Führungs-System
- Primäres Zugangssystem
- Inneres Leitsystem
- Start-Repräsentationssystem
- Einstiegssinneskanal
Verwandte Begriffe
- Repräsentationssystem
- Primäres Repräsentationssystem (PRS)
- Zugangs-Hinweise
- Submodalitäten
- Strategien
Abgrenzung
Während das PRS oft bewusst bevorzugt genutzt wird (z.B. ein „visueller“ Mensch), beschreibt das Leitsystem die unbewusste Initiation eines mentalen Prozesses.
Wissenschaftlicher oder praktischer Nutzen
- Selbstkenntnis: Menschen erkennen durch das Wissen um ihr Leitsystem, wie sie denken, lernen und Entscheidungen treffen.
- Lernförderung: Lernstrategien können gezielter gestaltet werden – etwa durch visuelle Skizzen, akustische Hilfen oder körperliche Bewegung.
- Therapie und Veränderungsarbeit: Blockaden lassen sich oft lösen, wenn der Klient lernt, andere Systeme zu nutzen oder das Leitsystem bewusster zu aktivieren.
- Kommunikation: Die eigene Kommunikation lässt sich an das Leitsystem des Gegenübers anpassen, was Verständnis, Vertrauen und Wirkung steigert.
Kritik oder Einschränkungen
- Wissenschaftliche Validität: Das Konzept des Leitsystems – wie viele NLP-Konzepte – ist in der akademischen Psychologie umstritten. Es gibt bislang keine hinreichend empirisch fundierten Studien, die die genaue Existenz oder Universalität von Leitsystemen belegen.
- Missverständnisse: Die Zuordnung eines Menschen zu einem festen Leitsystem ist irreführend. Menschen nutzen je nach Kontext unterschiedliche Strategien – das Leitsystem ist nicht fix, sondern dynamisch.
Literatur- und Quellenhinweise
- Bandler, R., & Grinder, J. (1979). Frogs into Princes: Neuro Linguistic Programming. Real People Press.
- Grinder, J., & DeLozier, J. (1995). Turtles all the way down: Prerequisites to personal genius. Meta Publications.
- Dilts, R. (1990). Changing Belief Systems with NLP. Meta Publications, Capitola.
- Andreas, S., & Faulkner, C. (1994). NLP: Handbook. Real People Press, New York.
- Thomann, B. (2004). Submodalitäten und Strategien im NLP. Junfermann.
Metapher
Das Leitsystem ist wie die Haustür zu Deinem inneren Haus. Erst wenn Du sie öffnest, kannst Du Dich darin frei bewegen. Diese Metapher verdeutlicht, dass das Leitsystem der erste Schritt ist, um Zugang zu Erinnerungen, Gedanken oder inneren Ressourcen zu gewinnen. Ohne dieses Eingangstor bleiben tieferliegende Informationen verschlossen.