Mentoren-Technik
Definition
Die Mentoren-Technik ist eine imaginative NLP-Methode, bei der reale oder fiktive Gestalten als Ratgeber (Mentoren) fungieren, um neue Perspektiven, innere Ressourcen oder kreative Lösungsimpulse zu aktivieren. Dabei nutzt der Anwender die Vorstellungskraft, um in einen inneren Dialog mit diesen Mentoren zu treten oder ihre „Ratschläge“ zu empfangen. Entscheidend ist dabei nicht die reale Existenz des Mentors, sondern die Wirkung, die seine verkörperten Eigenschaften auf das eigene innere Erleben haben.
Die Methode basiert auf der Annahme, dass alle Ressourcen im Menschen bereits vorhanden sind und durch geeignete Repräsentationen – z.B. über symbolische Gestalten – zugänglich gemacht werden können.
Ursprung und Theoretischer Hintergrund
Die Technik ist in der Tradition des NLP verankert, speziell im Bereich der Arbeit mit Ressourcen, Repräsentationen und Ankern. Ihre Wurzeln lassen sich aber auch im Schamanismus, in der Gestalttherapie (Arbeit mit inneren Figuren) und in der Heldenreise nach Joseph Campbell finden.
Der Begriff des „Mentors“ stammt ursprünglich aus der griechischen Mythologie: Mentor war der weise Berater des Odysseus und wurde zur Symbolfigur für unterstützende Führung. Im NLP wurde diese archetypische Figur kreativ erweitert – es kann sich bei einem Mentor um ein reales Vorbild (z.B. Nelson Mandela), eine Fantasiefigur (z.B. Gandalf), ein Tier (z.B. Adler), ein Naturphänomen (z.B. der Wind) oder ein abstrahiertes Prinzip (z.B. innere Weisheit) handeln.
Anwendungsbeispiele
- Ein Coachee fühlt sich in einer Führungsrolle überfordert. Mithilfe der Mentoren-Technik „ruft“ er innerlich drei Figuren auf – etwa Angela Merkel, einen Samurai und einen weisen Großvater – um deren Sichtweise auf die Situation zu erkunden und Handlungsmöglichkeiten zu gewinnen.
- Eine Klientin im therapeutischen Prozess steckt in einem alten Glaubensmuster fest. Sie arbeitet mit einer inneren Mentorin in Form einer Märchenfigur, um liebevoll neue innere Überzeugungen zu entwickeln.
- Eine Führungskraft steht vor einer strategischen Entscheidung. Durch den Perspektivwechsel mit einem historischen Vorbild (z.B. Leonardo da Vinci) entsteht ein neuer kreativer Lösungsansatz.
Einsatzbereiche
- Therapie: Aktivierung unbewusster Ressourcen bei emotionalen Blockaden oder stuck states
- Coaching: Entwicklung neuer Perspektiven, besonders bei Entscheidungsfragen
- Führungskräfteentwicklung: Stärkung von Selbstwirksamkeit durch Arbeit mit Vorbildern
- Persönlichkeitsentwicklung: Integration positiver Archetypen oder Rollenbilder
- Kreativitätsförderung: Zugang zu ungewöhnlichen Ideen durch metaphorische Intelligenz
- Konfliktklärung: Mentoren bieten Impulse für Verständnis, Versöhnung oder Handlungsalternativen
Methoden und Übungen
Typische Vorgehensweise – „Mentorenreise“ (auch als Übung „Die drei Mentoren“ bekannt):
- Assoziieren ins Problem: Die Person stellt sich vor, mitten in der belastenden Situation zu stehen.
- Dissoziation: Die Situation wird aus einer beobachtenden Position betrachtet.
- Mentoren bestimmen: Auswahl von 1–3 inneren Mentoren (real, fiktiv, symbolisch).
- Mentoren einladen: Mit Hilfe von Bodenankern (z.B. Kreise auf dem Boden) wird jeder Mentor körperlich „begehbar“ gemacht.
- Dialog und Integration: Die Person nimmt die Perspektive jedes Mentors ein (2. Wahrnehmungsposition), gibt sich selbst Ratschläge und integriert schließlich die gesammelten Ressourcen am Ausgangspunkt.
- Future Pace: Testen der Veränderung in einem zukünftigen Szenario.
Varianten:
- „Inneres Team“ (ähnlich wie Schulz von Thuns Modell)
- Mentoren als dauerhafte innere Berater etablieren (z.B. über Symbolkarten oder geführte Meditation)
Synonyme oder verwandte Begriffe
- Heldenreise-Arbeit
- Archetypen-Arbeit
- Repräsentationsarbeit
- Symbolische Ressourcennutzung
- Inneres Team (Schulz von Thun)
- „Voice Dialogue“ (Hal und Sidra Stone)
Abgrenzung: Im Gegensatz zur reinen Visualisierung nutzt die Mentoren-Technik körperliche Verankerung (Bodenanker) und Wechsel der Wahrnehmungspositionen – sie ist damit stärker im NLP-Setting verwurzelt als z.B. klassische Fantasiereisen.
Wissenschaftlicher oder praktischer Nutzen
- Stärkung der Selbstwirksamkeit: Die Mentoren sind Ausdruck eigener innerer Anteile und ermöglichen Zugang zu Ressourcen, die sonst unbewusst bleiben.
- Erweiterung der Perspektive: Durch die Sicht von außen oder aus anderen Identitäten entstehen kreative Lösungen.
- Förderung von Selbstmitgefühl und Führungskompetenz: Besonders hilfreich in Momenten von Selbstzweifeln oder Überforderung.
- Metaphernbasierte Heilung: Unterstützt Prozesse der inneren Reparenting-Arbeit oder Neuverhandlung von inneren Glaubenssätzen.
In Studien zur Arbeit mit Imaginären Helfern (ähnlich der Mentoren-Technik) zeigen sich positive Effekte auf Emotionsregulation und Problemlöseverhalten (vgl. Singer, 2006).
Kritik oder Einschränkungen
- Gefahr der Dissoziation: Bei instabilen Persönlichkeitsanteilen oder traumatischen Erfahrungen kann die Technik Überforderung erzeugen, wenn sie nicht professionell begleitet wird.
- Vermischung von Realität und Imagination: Besonders in psychologisch vulnerablen Gruppen kann es notwendig sein, stärker zu erden.
- Kulturelle oder religiöse Barrieren: Manche Menschen lehnen die Vorstellung von „inneren Wesen“ oder fiktiven Gestalten ab – Anpassung erforderlich.
- Nicht jede Ressource ist sofort verfügbar: Mentoren-Technik kann innere Widerstände oder Konflikte aufdecken, die weitere therapeutische Begleitung erfordern.
Literatur- und Quellenhinweise
- Jochims, I. (1995). NLP für Profis: Glaubenssätze & Sprachmodelle. Junfermann.
- Dilts, R. (1994). Strategies of Genius I. Meta Publications, Santa Cruz.
- Grinder, J., & DeLozier, J. (1995). Turtles all the way down: Prerequisites to personal genius. Meta Publications.
- Bandler, R., & Grinder, J. (1975). The Structure of Magic I & II. Science and Behavior Books, Palo Alto.
- Campbell, J. (2022). Der Heros in tausend Gestalten. Insel Verlag.
- Singer, J. L. (2006). Imagery in psychotherapy. American Psychological Association.
Metapher
Ein Mentor ist wie eine innere Kerze in dunklen Momenten – das Licht kommt nicht von außen, sondern aus deinem Inneren, das sich in dieser Gestalt zu Wort meldet.