Paradoxe Intervention

„Du darfst erst wieder Brokkoli essen, nachdem du alle Pizza-Vorräte aufgefuttert hast!“ Solche Verbote oder merkwürdigen Aufforderungen können tatsächlich dazu führen, Kinder zum Essen von Gemüse zu motivieren. Indem die Eltern ihnen es verbieten. Klingt paradox? Ja. Genau darum geht es in der Paradoxen Intervention: Genau das Gegenteil von dem fordern, was man erreichen möchte. Und zwar nicht nur in der Kindererziehung, sondern auch in verfahrenen Situationen im Business, in der Therapie oder im Coaching.

Paradoxe Intervention
Paradoxe Intervention (Pixabay: rechts ©Zuzana Gazdikova, links ©Zichrini)

Inhaltsverzeichnis

  1. Definition
  2. Herkunft / Hintergrund
  3. Paradoxe Interventionstechniken im Coaching
    1. Symptomverschreibung
    2. Paradoxe Intention
    3. Reframing / Umdeutung
    4. Paradoxe Methoden des Provokativen Coachings
  4. Hinweis
  5. Weiterführende Literatur

Definition

Eine Paradoxe Intervention ist eine (ursprünglich therapeutische) Maßnahme, bei der ein problematisches Verhalten oder Krankheitssymptom dem Patienten bewusst „verschrieben“ wird, als Mittel, genau dieses Verhalten oder Symptom zu überwinden.

Herkunft / Hintergrund

Die Paradoxe Intervention ist eine Vorgehensweise aus der Familientherapie und stammt aus dem Systemischen Ansatz der „Mailänder Schule“ von Mara Selvini Palazzoli und ihrem Team (1970er Jahre). Selvini Palazzoli arbeitete vor allem mit Familien, bei denen ein Familienmitglied schizophren war oder an Essstörungen litt. Ausgehend von der Hypothese, dass eine Familie ein sich selbst regulierendes System darstellt, beeinflussen sich die Familienmitglieder mit ihren Beziehungsmustern gegenseitig und folgen bestimmten Regeln. Dies gilt auch für Familien, in denen mindestens ein Familienmitglied als „pathologisch“ diagnostiziert ist. Zudem stellten sie fest, dass Familien mit einem schizophrenen Mitglied besonders häufig ein Gewirr an paradoxer Kommunikation zeigten.

double bind
„double bind“ (Pixabay: ©Alexandr Ivanov)

Eine dieser Kommunikationsformen ist das sogenannte „double bind“ (Doppelbindung), bei der die wörtliche Aussage einer Person („ich hab dich lieb“) völlig konträr zur Stimme, Mimik und Körperhaltung ist: kalte Stimme, hängende Mundwinkel, ernster Blick, abweisende Körperhaltung. Die sprachlichen und nichtsprachlichen Botschaften sagen also etwas Gegenteiliges aus und es ist nicht klar, auf welche der Botschaften der Empfänger reagieren soll. (Dies wurde etwa zur gleichen Zeit auch von Paul Watzlawick und seinem Team in Palo Alto, Kalifornien beobachtet und beschrieben.)

Um diesen Familien helfen zu können, suchte das Mailänder Team nach Möglichkeiten, in das familiäre Regelwerk einzugreifen und dadurch die Symptome zu verändern. Eine der Maßnahmen war, die auftretenden Symptome positiv zu bewerten und als sinnvoll zu interpretieren, was auf die Familien ausgesprochen paradox wirkte und deren Interaktionsmuster unterbrach. Auch verordneten sie den Familien bzw. dem kranken Familienmitglied bewusst, das problematische Verhalten beizubehalten. Mit diesen paradoxen Interventionen bewirkten sie positive Veränderungen im Familiensystem. Es war jedoch ein sehr individuelles Vorgehen und keine als wirkungsvoll entdeckte Maßnahme konnte einfach so auf eine andere Familie übertragen werden. Auch war es sehr schwierig, vorherzusagen, wie eine paradoxe Intervention wirken würde. Zudem waren sie sehr manipulativ.

Paradoxe Interventionen galten lange Zeit als typische Technik der System- und Familientherapie. Doch auch bei anderen Therapeuten (Alfred Adler, Sigmund Freud, Fritz Perls und Viktor Frankl) finden sich paradoxe Elemente und Vorgehensweisen. Viktor Frankl zum Beispiel prägte den Begriff der „Paradoxen Intention“, der oft synonym mit der Paradoxen Intervention verwendet wird. Es sind jedoch zwei verschiedene Begriffe mit unterschiedlicher Herkunft.

Paradoxe Interventionstechniken im Coaching

Auch wenn die Ursprünge aus dem therapeutischen Bereich stammen, können paradoxe Interventionen auch im Coaching eingesetzt werden. Voraussetzung ist hierfür eine gute Beziehung zwischen Coach und Klienten, sowie ein sehr individuelles Vorgehen. Was für einen Klienten hilfreich ist, muss beim anderen nicht ebenso passen.

Hier ein Hinweis: Manchmal ist zwischen den jeweiligen Varianten kaum ein Unterschied auszumachen. Manche Autoren versuchen, zwischen den einzelnen Techniken zu differenzieren, andere verwenden sie synonym. Lassen Sie sich daher nicht verwirren. Die folgende Unterscheidung wird in der Literatur von verschiedenen Autoren verwendet.

  1. Symptomverschreibung

    Bei dieser Intervention wird das problematische Verhalten gefördert und dazu angeregt, genau dies weiterhin zu tun bzw. zu intensivieren. Ein Chef, der z.B. seinen Mitarbeiter ständig überwachen und kontrollieren möchte, bekommt die Aufgabe, es gezielt zu tun: „Nehmen Sie sich täglich ein bis zwei Stunden Zeit, um Ihren Mitarbeiter genauestens zu kontrollieren und seine Arbeitsleistung zu überwachen!“ Die ursprüngliche Verhaltensweise wird bestärkt, doch Zeitpunkt , Ort oder Kontext, in dem sie stattfindet, werden verändert.
  2. Paradoxe Intention

    Sie wurde von Viktor Frankl entwickelt. Er verordnete genau die Verhaltensweisen und Symptome, vor denen sich seine Klienten fürchteten. Einem Mann, der an Schlaflosigkeit litt, riet er dazu, absichtlich wach zu bleiben und sich nur auszuruhen. Der Mann versuchte dies und schlief ein. Diese paradoxe Intention wurde von Verhaltenstherapeuten übernommen, die in Tests herausfanden, dass Klienten mit Einschlafproblemen nach Verordnung des „Wachbleibens“ durchschnittlich schneller einschlafen konnten, als nach anderen verhaltenstherapeutischen Maßnahmen, die sie vorher ausprobiert hatten.
  3. Reframing / Umdeutung

    Hier wird dem Verhalten eine andere Bedeutung zugeschrieben. Ein Kollege, der ständig zu spät kommt und sich im Team nie an getroffene Absprachen hält, könnte so beispielsweise eine Umdeutung erhalten: „Es ist toll, dass Sie auf diese Weise Ihren Kollegen ein Thema liefern, über das sie sich austauschen können. Das fördert ganz klar den Teamzusammenhalt.“ Da er vermutlich dies nicht bezweckt hatte, kann er sein bisheriges Verhalten so nicht mehr beibehalten. Oder: Eine langjährige Mitarbeiterin fällt plötzlich durch häufige Krankheit auf. „Wann haben Sie sich entschieden, häufiger krank zu werden? Bevor oder nachdem Sie ins Großraumbüro gesteckt wurden?“ Bei dieser Deutung wird der Krankenstand der Mitarbeiterin als bewusste Entscheidung gedeutet und ihre Selbstwirksamkeit herausgefordert. Möglicherweise möchte sie damit etwas ausdrücken und hat bisher keine Verhaltensalternative gefunden.
  4. Paradoxe Methoden des Provokativen Coachings

    Auch im Provokativen Coaching werden paradoxe Interventionen auf eine sehr wertschätzende und humorvolle Art angewandt. So wird der Klient oft bestärkt, sein Verhalten unbedingt beizubehalten, und ihm werden scherzhaft die möglichen positiven (und absurden) Folgen seiner Handlungen ausgemalt. Hinzu kommt eine uneingeschränkte Begeisterung des Coaches für das Symptom. Auch besonders idiotische Lösungsvorschläge gehören zum provokativen Repertoire. Ziel ist es, den Klienten zum Lachen zu bringen und die Absurdität manche seiner Verhaltensweisen zu erkennen.

Hinweis

Paradoxe Interventionen sind keine eigene Coaching-Methode, doch sie können wohldosiert den Coaching-Prozess bereichern. Wichtig ist es, sich dabei gut auf den Klienten zu kalibrieren. Es gilt außerdem abzuwägen, bei wem diese Interventionen eingesetzt werden. Jemand, der aktuell gerade sehr in seinem Problem feststeckt, braucht vielleicht eine andere Intervention oder kann durch Paradoxien zusätzlich in Stress versetzt werden.

Kombiniert mit großer Wertschätzung dem Klienten gegenüber können sie jedoch durchaus gute Resultate bewirken.

Quelle / Weiterführende Literatur:

Paradoxon und Gegenparadoxon: Ein neues Therapiemodell für die Familie mit schizophrener Störung

Paradoxon und Gegenparadoxon: Ein neues Therapiemodell für die Familie mit schizophrener Störung

167 Seiten, Klett-Cotta /J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger; Auflage: 12 (1. März 2011)
ISBN 3608953752

Mara Selvini Palazzoli, L Boscolo, G Cecchin, G Prata

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Menschliche Kommunikation: Formen, Störungen, Paradoxien

Menschliche Kommunikation: Formen, Störungen, Paradoxien

324 Seiten, Hogrefe, vorm. Verlag Hans Huber; Auflage: 13., unveränderte Auflage (12. Dezember 2016)
ISBN 3456857454

Paul Watzlawick, Janet H. Beavin, Don D. Jackson

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Ärztliche Seelsorge: Grundlagen der Logotherapie und Existenzanalyse Mit den ›Zehn Thesen über die Person

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352 Seiten, dtv Verlagsgesellschaft (1. August 2007)
ISBN 342334427X

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